Spätestens nach den Lesungen im Rahmen der lit.COLOGNE drängt sich eine Frage in den Vordergrund. Gibt es eine geheime Zutat in den Romanen, die vorgelesen wurden?
So unterschiedlich alle drei Bücher sowohl in Handlung als auch Qualität der vergangenen Tage waren, so hatte sie eine große Gemeinsamkeit. Sie alle wurden in hoher Auflage veröffentlicht. Dafür muss es eine Grund geben (zumindest hofft man das als ‚Jung-‚Autor). Man ist also nach der Suche, um diese Zutat zu finden. So geheim, wie man anfangs glaubt, ist sie allerdings nicht. Freimütig haben alle drei Autoren im Gespräch mit den jeweiligen Moderatoren davon erzählt, dass in ihren Werken auch immer etwas biographisches stecke. Ein besonderer Ort, an dem sie groß geworden sind, Meinungen der Hauptfigur, die zu 90 Prozent mit der Meinung des Autors übereinstimmen oder aber eine buntes Sammelsurium an Erlebnissen, die sich in der Geschichte leicht verfremdet wieder finden.
Also keine wirklich geheime Zutat, sondern was fast offensichtliches. Ist es das, was einen Roman erfolgreich macht, biographische Elemente des Autores? Oder wird es später nur Journalisten und Kritikern gegenüber behauptet, weil man nur so authentisch wirkt? Ich bekomme dabei schnell das Gefühl, dass es sich dabei um ein ähnliches Paradigma handelt wie bei der Auffassung, man würde quasi als Autor geboren und müsste schon sehr früh anfangen zu schreiben (tatsächlich fangen wir alle an, früh zu schreiben, nämlich in der Grundschule, wenn wir es lernen). Gute Literatur stammt demnach nur von Autoren, die aller spätestens in ihrer Jugend ihr erstes Buch geschrieben haben. Zudem muss in solcher Literatur selbstverständlich auch immer was biographisches sein. So als würde der Autor sein Werk quasi mit seinem eigenen Blut schreiben.
Ehrlich gesagt ist das eine sehr befremden Vorstellung. Vermutlich ist es auch ein typisch deutsche Vorstellung, die „hohe“ Literatur von vermeintlicher Belletristik abgrenzen will. Je unlesbarer ein Buch, desto besser die Kritik in den Edel-Feuilletons. Das das Schreiben zu 90 Prozent aus Handwerk besteht, wird gerne aus Acht gelassen. Der Autor ist ein Künstler, und solche will er gerade auch von den Kritikern wahrgenommen werden. Dem größten Teil des Lesepublikums freilich dürfte es egal sein – könnte man meinen. Genau da aber verläuft auch (mindestens) eine Grenze. Da gibt es diejenigen, für die das Lesen Unterhaltung ist, während andere in Büchern eine intellektuelle Herausforderung suchen. Fantasy-Romane, Science Fiction – nun ja, dass ist ja schon fast Schund. Beim Krimi ist es dagegen ein Sonderfall, aber ich schweife ab. Anfänglich stand die Frage im Raum, ob es eine geheime Zutat gibt oder nicht.
Wenn man sich die SPIEGEL-Bestseller im Bereich Belletristik dieser Woche ansieht (kein Qualitätskriterium, ich weiß), findet man dort eine bunte Mischung aus zweifellos literarischen Romanen (‚Nemesis‘ von Philip Roth, der biographisches verwendet hat in seinem Buch) als auch Bücher, für die man sich schon schämt wenn man sie nur verschenkt (‚Hummeldumm‘ von Tommy Jaud). Wie sieht es bei denen mit der geheimen Zutat aus? Von einigen weiss man es, weil die Autoren darüber geredet haben, bei anderen ahnt man es, weil der Roman ein bestimmtes Setting hat, dass der Autor gut kennt (‚Winterkartoffelknödel‘ von Rita Falk). Und dann gibt es da nicht die Werke, bei denen man hofft, dass da nichts vom Autor selber drin steckt (‚Der Menschenmacher‘ von Cody Mcfadyen).
Die Wahrheit, sofern es eine gibt, liegt wohl irgendwo in der Mitte. Natürlich steckt in jeder Geschichte, auch wenn die Handlung frei erfunden ist, immer etwas vom Autor mit drin, denn die Texte werden den Autoren nicht wie die Zehn Gebote von einer äußeren Stimme diktiert. Auch ist es so, dass das, was man als Autor erlebt, vor allem aber auch liest, starken Einfluss auf die Geschichten hat, die man schreibt. Von Georg Christoph Lichtenberg gibt es ein sehr schöne Zitat, das darauf gut passt:
Lesen heißt borgen, daraus erfinden, abtragen.
Das einzige Problem an der Sache ist dann die Originalität. Wenn wir gestützt auf das, was wir erleben, lesen die Grundlage dessen ist, was wir später schreiben, steckt immer etwas von dem Geborgten im Text. Manchmal als geheime Zutat, ein anderes Mal ganz offensichtlich. Ob man aber überhaupt noch originelle Erzählung schreiben kann, ist eine ganz andere Geschichte.
14 Kommentare
Ist das nicht auch massgeblich davon gesteuert, warum jemand schreibt?
Warum jemand schreibt ist auch eine interessante Frage, auf die es viele Antworten gibt. Ich hoffe aber immer, dass jeder gute Autor bei seinen Antworten diese eine dabei hat: „Um die Leser gut zu unterhalten“. Das sollte meiner Meinung nach im Vordergrund stehen.
Ich bin davon überzeugt, dass dieses Quäntchen „biographische Zutat“ durchaus jedem Roman bekommt. Es geht natürlich nicht darum, aus dem eigenen Leben einen Roman zu machen, sondern das eigene ERleben in den Roman fließen zu lassen. Soll heißen: Wenn ich selbst eine emotionale Beziehung zu einem Ort, einer Situation oder einem Ereignis habe, dann bin ich in der Lage, es vielschichtiger zu beschreiben. Ich weiß dann, wie es sich anfühlt und davon fließt etwas in den Roman hinein. Ich bin überzeugt, dass man auf diese Weise sehr natürlich eine Synasthäsie erzeugt, die nicht gelingen kann, wenn man völlig fremd von außen etwas beschreibt.
Plattes Beispiel: Wenn ich schon mal betrogen wurde, weiß ich wie sich das anfühlt und kann es demzufolge auch anschaulicher beschreiben. Damit wird es für den Leser glaubwürdiger, er wird emotional stärker angesprochen und das macht viel aus beim Empfehlungsmarketing.
Natürlich muss man die Situation nicht im Detail kennen. Wahrscheinlich genügt es in einem Free Fall Tower gesessen zu haben, um beschreiben zu können, was das für ein Gefühl ist, wenn man mit dem Flugzeug abstürzt.
Es gibt noch nicht ganz so altes Beispiel von einem hochgelobten Roman, bei dem die Autorin nichts von dem selber erlebt hat. Die Art, wie sie an den Hintergrund gekommen ist, gefällt mir nicht. Wirklich nicht. Aber Helene Hegemann hat von dem, was sie in „Axolotl Roadkil“ beschreibt, nichts erlebt.
Anderes Beispiel: Wenn man einen Thriller auf dem Mond spielen lässt (Schätzing, ‚Limit‘), kann man nicht da gewesen sein. Bei dir klingt noch was anderes an, ohne dass du es direkt ansprichst: Recherche. Die halte ich für notwendig, um eine glaubhafte Geschichte zu erzählen (wo bei das je nach Genre auch nicht einfach ist).
Nein, die Recherche meine ich nicht. Die ist natürlich auch wichtig, aber war nicht gemeint. Klar, wir waren nicht auf dem Mond – Schätzing auch nicht – , aber wir waren schon mal weit weg von zuhause. Wir haben bestimmte Situationen schon erlebt. Die kann man zumindest als emotionale Grundlage bei der Beschreibung anlegen. Denk an Jules Vernes! Obwohl er nicht unter dem Meer gereist ist, nicht die ganze Erde umrundet hat, zum Mond geflogen ist oder in einen Vulkan hinein geklettert ist, kann er uns mitreißen und das Gefühl vermitteln, wie es sein KÖNNTE. Entweder er hat dabei auf Erfahrungen zurückgegriffen und diese transferiert oder er hat sich ganz tief eingefühlt. (Letzteres hat ja wohl auch Einstein für seine Relativitätstheorie getan.)
Axolotl Roadkill habe ich nicht gelesen. So wie man das verfolgen konnte, hat Helene Hegemann selbst nicht allzu viel zu diesem Werk beigetragen (ein literarischer Guttenberg sozusagen). Das heißt aber nicht, dass nicht die ursprünglichen Autoren biographisches Material in ihren Texten verwendet haben. Daher kann ich Dein Beispiel nicht wirklich gelten lassen.
Ah, da haben wir aber wichtigen Begriff: „einfühlen“ Das muss man meiner Meinung nach auf jeden Fall. Auch wenn es manchmal anstrengend und auch ekelig ist (Krimi Autor…) versetze ich mich in die Figuren hinein. Aber ich muss dafür niemanden umgebracht haben.
Ich hoffe doch sehr, dass Du niemanden umbringst, nur um Dich richtig einfühlen zu können! Wahrscheinlich genügt es, mal so richtig mörderisch wütend auf jemanden zu sein, um die Motivation zu erahnen. Wobei das bei einem Serienkiller noch mal anders aussehen kann.
Nein, ich brauche niemanden umzubringen – dafür hatte ich im Studium mal vier Semester Psychologie :-) Das hilft auf jeden Fall, wenn man sich einen Serienkiller ausdenkt.
Heißt das, Du hast dort Einblick genommen und weißt, wie die Mörder ticken, oder hast Du dort die mörderische Wut kennen gelernt? ;-)
Ich weiss ein paar grundlegende Dinge über Verhaltensstörungen, Entwicklung von Auffälligkeiten uns solche Dinge.
@tboley
Wenn die Unterhaltung im Vordergrund steht, kommt so etwas heraus, wie Schätzing es schreibt. Ich habe mir mal „Der Schwarm“ angetan – sicher toll recherchiert, auch unterhaltend und spannender Plot, aber „blutleer“, wie man so schön sagt. Er arbeitet etwas auf, hat seinem Leser aber im Grunde nichts zu sagen, was über die recherchierten, gut verpackten Fakten hinausgeht.
Was aber ist dann die Aufgabe von Romanen im Gegensatz zur Sachbüchern? Bei Unterhaltung muss nicht so was wie „Der Schwarm“ rauskommen. Ein schwierige Diskussion, sicher. Aber ich bin kein Freund von Zeigefingerlektüre oder Werken, die der Autor als Selbsttherapie geschrieben hat. Nehmen wir mal „Bis ich dich finde“ von John Irving (einer meiner Lieblingsautoren). Der Roman ist unterhaltsam, aber bei weitem nicht blutleer.
Stimmt – Irving ist aus meiner Sicht auch weit weg von Schätzing. Ist sicher eine schwierige Diskussion, aber am Beispiel Irving vs Schätzing halbwegs aufzeigbar, wo der Unterschied liegt (aus meiner Sicht): Schätzing lese ich, fand es teilweise ganz spannend und das war es dann – Irving lese ich und denke immer mal wieder darüber nach, ab und an kommt die Story oder Teile davon wieder ins Bewußtsein, wenn es zu bestimmten Lebenssituationen passt.
Schätzing verpackt ein Sachaspekte spannend, was lobenswert ist. Irving schreibt über das Leben.
Über das Leben schreiben. Ich glaube, damit habe wir eine gemeinsame Basis, denn genau das ist es, was auch mich interessiert. Überlebensgroße Figuren (da schreib ich noch mal ausführlich was zu) mag ich überhaupt nicht. Wer seinen Roman mit Recherche überfrachtet wie Schätzing, langweilt mich.