Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Als Autor erlebt man es immer wieder, wie sich beim schreiben die Figuren entwickeln. Teilweise geht die Entwicklung auch in einer Richtung, die man selber vorher nicht im Sinn hatte – die Figur entwickelt ein Eigenleben.

Sehr wichtig für mich ist immer zu wissen, was die Figur antreibt, was ihre Motive, ihre Ziele sind – und welche Bedürfnisse sie eigentlich hat, die eventuell sogar den Zielen entgegengesetzt gegenüber stehen. Für die Figur des „Manes“ (Hermann) in meinem Köln-Kurzkrimi hatte ich mir folgenden Hintergrund überlegt (um zu erklären, warum er einer dubiosen Nebentätigkeit nachgeht):

Hermann hatte eine Oma, die er sehr gerne mochte. Diese Oma benutzte immer 4711. Als seine Oma starb, warf das Hermann so aus der Bahn, dass er sein Studium abbrach und in die Stadt zog, wie 4711 hergestellt wird. Müllmann wurde er, weil er Geld brauchte, und vor allem wegen des Geruchs. Er war bis zuletzt bei seiner Oma geblieben und wird den Geruch des Todes nicht los. Weder durch Müll noch durch Parfümflaschen, die er sammelt. Das seine Nebentätigkeit auch was mit Tod zu tun hat, ahnt er – es liegt eine bittere Ironie darin.

Mit der Zeit wurde aber deutlich, dass das nicht wirklich ausreicht. Mir war nicht klar, wofür Hermann das Geld braucht. Die Parfümflaschen erschienen nicht ausreichend als Grund. Wieder durch Text Flow (bzw. Freies Schreiben, wie es korrekt bezeichnet wird) näherte ich mich dem eigentlichen Motiv:

Manes, der Imi. Was für ein Hobby hat er? Warum braucht er so viel Geld? Seine Oma, die verstorben ist. Die medizinische Versorgung war zuletzt sehr teuer. Konnte und wollte er das bezahlen? Wie sieht es mit einer Beziehung aus? Ist er schwul? Wohl eher nicht. Aber einsam, dass ist er auf jeden Fall. Eigentlich ist eher kein Müllmann. Dafür hat er nicht Abitur gemacht. Dafür würde er sich jetzt vor seiner Oma schämen. Sie war doch so stolz auf ihn gewesen, als ihr Enkel studiert hat. Und jetzt, was war aus ihm geworden. Ein hoffnungsloser Fall, ein Trauerklos. Keine Freunde, nur die Arbeit. Sein Hobby, das war das Einzige,was ihm noch geblieben war. Comic-Hefte? Kakteen? Teuere Reisen. Alles nicht das richtige. Etwas, was tief in ihm verwurzelt ist. Nur teuer musste es sein. Ein Auto, ein Porsche? Sein Traum, eigentlich nicht sein Traum, sondern der seine toten Oma. Sie wollte immer mit einem Porsche fahren, hatte davon geträumt, bis zu letzt. Nie war Geld dafür da. Warum spart er dann das Geld, obwohl sie schon tot ist? Um ihren Traum zu erfüllen, hätte auch ein Leihwagen gereicht. Nur blöd, wenn er damit einen selbstverschuldeten Unfall verursacht hätte, bei dem auch noch die Oma gestorben ist. Ein letzter Wunsch, er hat sie tot krank aus dem Krankenhaus geholt, um ihr diesen noch zu erfüllen. Dann die Sache mit dem Unfall. Alles seine Schuld. Jetzt war die Oma tot, der Prozess, die Verurteilung, die vielen Schulden. Zumindest hatte er seinen Führerschein wieder zurück bekommen. Dadurch war es möglich, sich von der Stelle als Straßenkehrer als Müllmann zu bewerben. Mit seiner Geburtsstadt Dortmund wollte er nichts mehr zu tun haben. Zu viele Erinnerungen. Köln war das erste, was ihm in den Kopf kam, als er die Wohnung seiner Großmutter aufgelöst hatte. Mit der Schuld an ihrem Tod musste er leben. Sicher sie wäre ohnehin gestorben, aber nicht so. Ihr Gesicht wird er nie vergessen. Kann es nie vergessen.

Unabhängig davon, was der Leser später mitbekommt, habe ich so auch bei dieser Figur die notwendige Tiefe, um ihn in der Gesichte überzeugend darstellen zu können. Die Schwierigkeit liegt jetzt darin, festzulegen, wie die beiden Figuren (also Jupp und Manes) miteinander agieren. Im Grunde sind beide Protagonisten. Kniffelig, wenn man bedenkt, dass die Gesichte Kurzprosa werden soll, also auf einem Rahmen von ca. 1.500 Wörter von mir gequetscht wird.

4 Kommentare

  1. Ist die Ausformulierung des eigentlichen Motivs wirklich noch frei? Wenn Du sagst, „Mir war nicht klar, wofür Hermann das Geld braucht.“ dann läuft die Ausformulierung der Motivation doch unbedingt in diese Richtung. Gehen Dir dadurch nicht vielleicht weitere Aspekte der Figur verloren? Da wäre zum Beispiel – was eine vollkommen andere Motivation für den Job wäre – die Weiterverfolgung des „4711-Geruch-Parfüm-Zweigs“ der Motivation. Fände ich spannender, da in der Person angelegt.

    1. Die Sache mit dem Parfüm hatte ich eine ganze Zeitlang verfolgt. Das Problem dabei war allerdings nachher, dass die Figur dadurch zu sehr in Richtung Slapstick geht – was zur Handlung und den anderen Figuren nicht wirklich gut passt.

  2. Ich bin über die Formulierung „Er war bis zuletzt bei seiner Oma geblieben und wird den Geruch des Todes nicht los. Weder durch Müll noch durch Parfümflaschen, die er sammelt.“ gestolpert. Ich habe mich gefragt, inwiefern er ihn nicht los wird. Hat er ihn ständig in der Nase und will ihn überdecken? Oder ist er in irgendeiner Weise fasziniert von dem Geruch, sodass er ihn im Müll sucht? Ich weiß, das klingt ein bisschen absonderlich, eröffnet aber auch wieder Möglichkeiten. Ohne zu weit in Richtung „Das Parfum“ gehen zu wollen, finde ich die Faszination von Gerüchen ebenfalls die spannendere Frage als den schnöden Mammon.

    Solveig

    1. Die Sache mit den Gerüchen wollte ich wegen der Ähnlichkeit zu „Das Parfüm“ nicht weiter ins Detail verfolgen – wobei mir ja auch entgegen kommt, dass meine Geschichte eine Kurzgeschichte wird. Das Geld recht profan ist, stimmt schon. Mal sehen, wie sich das Ganze bei der Überarbeitung entwickelt.

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