Für meinen Köln-Kurzkrimi arbeite ich derzeit an einer Szene, die mir etwas Schwierigkeiten bereitet. Statt stundenlang auf eine weiße Fläche zu starren, habe ich einen anderen Weg gewählt.
Einfach anfangen, nicht zensieren, die Sätze aus dem Kopf fließen lassen. Der größte Teil, der dabei raus kommt, wird es später nicht in die Szene schaffen. Aber es gilt die Regel, dass alles, was man schreibt, besser ist als nichts zu schreiben. In der Szene selber dreht es sich später um den Müllmann Jupp, der den Wagen fährt, mit seinen Gedanken dabei woanders ist.
„Was passiert hier? Jupp fährt den Müllwagen. Er denkt über seine Schulden nach Das Haus ist noch längst nicht abbezahlt. Über Caroline (13) und Sebastian (8), seine beiden Kinder. Seine Sorgen haben sich wie Ringe um den Bauch gewickelt, der auch mal flacher war. Was ist mit seiner Frau? Hält die Ehe noch? Was macht sie beruflich? Seine Frau ist Grundschullehrerin. Eigentlich passen sie nicht ganz zusammen, würde man denken. Er hat sie auf einer Karnevalsveranstaltung kennen gelernt. Sie hatte geglaubt, er hätte sich als Müllmann verkleidet. Dabei war er es keine Verkleidung, sondern er war beruflich da. Aus dem Missverständnis wurde eine Beziehung, aus der Beziehung wurde Caroline. Katholisches Elternhaus. Was sollen die Leute sagen. Was die wieder reden. Schwiegereltern waren nicht begeistert. Kann er überhaupt eine Familie ernähren. Eigentlich nicht, aber mit dem Gehalt seiner Frau ging es irgendwie. Auf Dauer wollte er nicht zurückstehen, wollte ihr auch was bieten. Hat sich dann zu dem Nebenjob überreden lassen. Wie lange ging das schon so? Hat er sich nie gewundert, gefragt, was sie da nach Feierabend transportierten. Wer andere Sorgen hat, vergisst darüber das Fragen stellen. Im Grunde war es ihm auch egal. Die Kinder jedenfalls waren stolz wie Oskar, dass sie jetzt in einem eigen Haus wohnten statt in einem Mietshaus, das vor 50 Jahren mal neu war. Damit war es etwas älter als Jupp. Was soll bloss aus den Kindern werden, wenn er sich von Lise trennt? Wobei es ja Lise ist, die auf eine Trennung drängt. Nur mal etwas Abstand. Ich brauch einfach Zeit für mich. Was heisst denn Zeit für mich? Was wird dann aus ihm? Wo werden die Kinder wohnen? Wer nimmt die Kinder? Erwartet sie etwa, dass er auszieht? Jupps Blick wanderte zur Brotdose. Sie war leer diesmal. Daran würde sich wohl auch demnächst nichts ändern. Das würde so weitergehen. Verdammt, was rennt denn der Penner da auf die Straße. Direkt vor den Wagen. Jupp konnte gerade noch rechtzeitig bremsen. Der Idiot stand weiter auf der Fahrbahn und machte keine Anstalten, Platz zu machen. Weg da! Jupp versuchte ihn mit der Hand zu zu verscheuchen. Ihm wurde klar, dass er nicht gehört worden war, nicht gehört werden konnte. „Das kann doch nicht war sein.“ Weiter fluchend stieg er aus. „Man mach das du da weg kommst!“ Irritiert sah ihn der Obdachlose an. Irgendwoher kannte Jupp das Gesicht. Egal. Der Kerl musste von der Fahrbahn. Jupp ging auf den Mann zu. Der schien jetzt zu begreifen, wo er eigentlich war und flüchtete auf den Bürgersteig. „Warum nicht gleich so“, rief Jupp ihm hinterher. Aus einem Hinterhof kam Mannes mit zwei Tonnen. So wie er dreinschaute, hatte er wohl den Obdachlosen von seiner Schlafstätte vertrieben. Jupp deutete einen Gruß an und stieg wieder in den Wagen.“
Wie man sieht, ändert sich die Zeitform zum Teil, Beschreibung wechselt mit wörtlicher Rede. Insgesamt ein großer Wust. Für mich interessant ist jedoch, dass sich beim schreiben ein immer deutlicheres Bild von Jupp bei mir entwickelt hat. Ich weiss, was er denkt, wie er fühlt. Dabei ist es so, dass von dem, was ich als Autor über die Figur weiss, längst nicht alles in den fertigen Text hineinkommt. Der Leser wird später nur Bruchstücke davon zu sehen kommen. Aufgabe des Autors ist es dabei, die Bruchstücke so zu wählen, dass der Leser die Tiefe der Person spürt. Jupp wird zu einem dreidimensionalen Charakter und ist kein Abziehbild.