Früher als mein Bruder und ich kleiner waren, war es für uns immer das Grösste, wenn wir zusammen mit unseren Eltern nach einem Sonntagsspaziergang an einem Kiosk Halt machten und es Schokolade für 10 Pfennig das Stück gab.
Aus meiner Erinnerung meine ich, dass es Bruchschokolade war, was aber eigentlich nicht sein kann, denn sie war nicht gebrochen. Die wurde so einzeln verkauft. Nach dem Tante Google mir etwas auf die Sprünge geholfen hat, weiß ich mittlerweile, dass die Schokolade „Rolle“ hieß, nach Kokos schmeckte und mittlerweile nicht mehr so wie früher verkauft werden darf (gesetzliche Vorschriften). Ein ähnlich gibt es wohl unter den Namen „Rommy“ hygienisch verpackt – wobei ich gar nicht über die Schokolade schreiben wollte, sondern über Bruchstellen. Keine Ahnung, wie ich so völlig abschweifen konnte.
Na gut, Bruchstellen jedenfalls. Gestern hatte ich mich verzweifelt daran versucht, ein Textbeispiel zu konstruieren, um die Wirkung deutlich zu machen. Wie es der Zufall so will, stolperte ich heute auf der Rückfahrt beim lesen von „Die Chemie des Todes“ von Simon Beckett (als E-Book, daher habe ich keine konkreten Seitenzahlen parrat) auf ein wie ich finde schönes Beispiel. Es mag sein, da ich erst im dritten Kapitel bin, dass sich das später aufklärt. So wie ich es aber las, warf es mich aus der Erzählung raus und ich blätterte (virtuell) ein paar Seiten zurück, um die Stellen noch mal zu lesen.
Für diejenigen, die das Buch nicht kennen, kurz das Wichtigste. Zwei Junge auf dem Dorf finden die Leiche einer Frau (Sally Palmer; wobei es eigenartig ist, dass der Ich-Erzähler bereits zu Beginn weiß, wer der Tote ist, später aber anders handelt). Die Mutter der beiden, die ihn benachrichtigte, erzählt ihm davon, dass sie wüsste, wer die Tote sei. Nach einer Rückblende, die erklären soll, wie der Ich-Erzähler zum Dorf-Arzt wurde, führt diese zwei Polizisten in die Nähe der Fundstelle. Diese gehen zunächst noch davon aus, dass es nur ein verendetes Tier ist, was da gefunden wurde. Schnell werden sie eines besseren belehrt. Der Ich-Erzähler verlässt, ohne selber die Leiche in Augenschein zu nehmen, den Fundort und fährt zurück ins Dorf, Einer Eingebung folgend entschließt er sich, bei Sally Palmer, die etwas außerhalb wohnt, vorbei zu schauen.
Im dritten Kapitel schaut sich der Ich-Erzähler auf dem Hof von Palmer um. Merkwürdig fand ich die Stellen, in der es um sein Verhältnis zu Palmer geht. Zunächst heißt es:
Sally und ich hatten zwar nie etwas miteinander gehabt, aber uns verband mehr als nur eine flüchtige Bekanntschaft. Eine Zeit lang hatte wir uns recht häufig getroffen.
Zwei Sätze später liest man dann:
Ich hab die paar Male genossen, die wir uns im Pub auf ein paar Drinks getroffen haben.
Abgesehen von der zweimaligen Verwendung von „paar“, was stilistisch nicht wirklich gelungen ist (aber auch an der Übersetzung liegen kann), verwirrt mich die Aussage. Entweder hat er Palmer recht häufig getroffen oder nur ein paar Mal.
Richtig eigenartig wird es im selben Kapitel später, als der Erzähler die Tür zum Haus aufmacht, eintritt und sich umsieht:
Alles war so, wie ich es in Erinnerung hatte: heitere, zitronengelbe Wände,…
Möglich, dass andere Leser diesen Bruch nicht empfinden, aber mir kommt es reichlich komisch vor. Natürlich kann ich mir eine Erklärung zurechtbasteln, mit Hilfe derer die Aussagen zusammenpassen. Das Problem daran ist meiner Meinung nach, dass allein das nachdenken darüber einen dennoch aus dem fiktionalen Traum schmeißt. Ich sehe nicht mehr den abgeschiedenen Hof vor mir, sondern überlege, wie das Verhältnis des Ich-Erzählers zu Palmer wirklich war. Vielleicht haben sich sich ja zusätzlich ein paar Mal im Pub getroffen. Dann aber wäre das Detail unwichtig.
Am Ende steht man dann da und weiß nicht, warum man plötzlich Lust auf Schokolade mit Kokos-Geschmack hat.
4 Kommentare
„Ein ähnlich gibt es wohl unter den Namen “Rommy” hygienisch verpackt – wobei ich gar nicht über die Schokolade schreiben wollte, sondern über Bruchstellen. Keine Ahnung, wie ich so völlig abschweifen konnte.“ – das ist ein Beispiel für die von Hanns Dieter Hüsch immer wieder mal angeführten niederrheinischen Assoziationsketten! ;-)
Lassen sich die drei Passagen aus dem Beckett-Roman nicht doch „bruchfrei“ verstehen – sie haben sich eine Zeitlang recht häufig getroffen, davon ein paar Mal im Pub, und auch die zitronengelben Wände passen dann, da sie sich ja nicht ausschließlich im Pub getroffen haben?
Hatte ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich Dieter Hüsch sehr geschätzt habe?
Zum Pub: Hab ich mich auch gefragt, ob man es auch so lesen könnte, aber wozu erwähnt er es dann? Bisher ist das mit dem Pub nicht wichtig (vielleicht kommt es noch?), es wäre also kein Verlust, wenn man den Satz im Text komplett streichen würde.
„…. es wäre also kein Verlust, wenn man den Satz im Text komplett streichen würde.“ – Ein interessantes Problem. Mir geht es beim Lesen ab und an so (nachdem ich das Buch komplett gelesen habe), dass ich Sätze streichen möchte – viele tragen aus meiner Sicht weder zum Verständnis, noch zur Atmosphäre bei. Es geht mir dann die Maxime durch den Kopf: „Soviel streichen, dass man von dem, was übrig bleibt, nichts mehr streichen könnte, ohne das Werk zu beschädigen.“ In der Musik findet sich das bei Miles Davis.
Die Maxime gefällt mir. In dem Buch „Wie man ein verdammt guter Schriftsteller wird“ (der Titel ist als ironische Anleihe gedacht) findet sich in einem Text ein sehr interessantes Bild. Die Autorin mag am liebsten Gesichten, die wie Brühwürfel sind. Kompakt, das pure Konzentrat. Wasser (bzw. Phantasie) könne sie selber hinzufügen. Ich denke, dass Text den Lesern Raum über lassen müssen, den sie selber füllen können.