Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Nach dem jetzt der Plot in einer brauchbaren Fassung zum weiter arbeiten vorliegt, besteht für mich jetzt der nächste Schritt darin, Wissenslücke zu stopfen. Das ist, gerade auch bei Kurzgeschichten, nicht immer notwendig.

Mindestens zwei Bereiche in „Keine halben Sachen“ sind aber für mich „Terra incognita“. Ich war in meinem bisherigen Leben noch nie in Thailand und ich bin kein Mediziner. Letzteres wird sich wohl auch nicht mehr ändern. Dennoch erfordert es die Geschichte, dass ich mich mit anatomischen Details vertraut machen, damit ich nicht völligen Blödsinn schreibe. So muss ich zum Beispiel wissen, wo eine Säge angesetzt werden kann, wie sich ein Bein sauber amputieren lässt und welche Komplikationen dabei auftreten können. Möglich, dass ich dabei an meine eigene Grenzen stoße in Bezug auf das, was ich vertrage, ohne dass ich über der Kloschüssel hänge. Aber gut, ich bin selber Schuld und verdiene kein Mitleid, denn das Thema habe ich mir schließlich selber ausgesucht.

Im Hinblick auf Thailand muss ich dagegen nicht ganz so viel wissen. Grob was über Land und Leute, Krankenhäuser und die dortige medizinische Versorgung. Genau so weit weg, wie das Land in meinem Bewusstsein ist, wird es auch den Lesern gehen. Selbst für diejenigen, die schon mal dort waren, reicht es, sich in der Geschichte nicht mit Details aufzuhalten, denn der Text wird keine Reisebeschreibung. Der medizinische Part wird deutlich mehr Gewicht bekommen.

Neben diesen Beiden Bereichen gibt es noch zwei weitere, die eine eher untergeordnete Rolle spielen. Da wäre einmal das Equipment, welches sich in einem handelsüblichen Baumarkt besorgen lässt. Ebenfalls sollte ich mir Gedanken darüber machen, aus welchem Land der Helfer genau kommt. Nicht schlecht wäre es, auch wenn das keinesfalls in der Kurzgeschichte erwähnt wird, sich über den Hintergrund und die Biographie des Helfers eine Vorstellung zu machen. Das ist insofern interessant, dass ich dem mehr Bedeutung beimesse als der Lebensgeschichte von M, obwohl wird doch letztendlich einen Ausschnitt aus seinem leben sehen. Für den Helfer ist die Amputation allerdings mindestens ein ebenso einschneidendes Ereignis wie für M. Was hat dazu geführt, dass der Helfer bereit ist, M das Bein abzuschneiden? Sich seine Motive zu überlegen, finde ich sehr spannend. Aber wie bereits gesagt, dass passiert hinter den Kulissen. Der Leser der Kurzgeschichte wird davon nichts mitbekommen. Die Kunst besteht dann jedoch darin, den Helfer ohne die Erwähnung seines gesamten Hintergrund so authentisch wie nur eben möglich zu machen. Dabei darf M, um den es eigentlich geht, nicht ins Hintertreffen geraten.

Werfen wir jetzt einen Blick auf die erarbeiteten Überschriften der einzelnen Station des Plots. Diesen lassen sich jetzt die noch notwenigen Recherche-Aufgaben zuordnen. Damit ich mich später besser darauf beziehen kann, habe ich die einzelnen Überschriften nummeriert.

1. Auf dem Stuhl in der Wohnung
Kurze Beschreibung, was M gerade macht und wie die Wohnung aussieht. Dabei nur die Details beschreiben, die eine Abweichung vom Bild der Wohnung darstellen, so wie sich der Leser eine Wohnung vorstellt.

2. Die Amputation des ersten Beines
Für diese Sequenz werden Informationen über Thailand benötigt. Da M als Tourist ins Land gekommen ist und sich mehr für sein Bein als für Sehenswürdigkeiten interessiert hat, reichen grobe Informationen aus einem Reiseführer oder von Wikipedia aus. Wichtig ist hier allerdings schon medizinische Hintergrundwissen. Zudem: wie sieht es in Thailand mit Krankenhäusern aus, wer würde eine Amputation vornehmen? Passen würde es, wenn die Entfernung des Beines nicht in einem Krankenhaus stattfindet, sonder quasi illegal vorgenommen wird. Dafür sind dann auch wieder Hintergrundinformation notwendig. Vielleicht gibt es sogar ein Netzwerk, das Operationen und Organtransplantationen im Untergrund durchführt.

3. Der Helfer fürs Grobe
Aus 2. muss auf jeden Fall hervorgehen, warum M sein zweites Bein nicht wieder in Thailand entfernen lassen möchte. Wichtig wäre es zu wissen, auf welche Weise M seinen Helfer gesucht und gefunden hat. Ein paar Informationen über den Hintergrund des Helfers sind wichtig, auch wenn sie später im Text nicht erwähnt werden. Statt eines Metzgers aus dem Ausland (wie in der Skizze) kann es sich bei dem Helfer auch um einen ehemaligen deutschen Arzt handeln, der seine Approbation verloren hat. Gegen einen Humanmediziner spricht auf jeden Fall, dass er sich auskennt, was das amateurhafte Vorgehen unglaubwürdig erscheinen lässt.

4. Gut vorbereitet
Da hier die Vorbereitungen geschildert werden, ist spätestens an dieser Stelle medizinisches Hintergrundwissen notwendig. Wie und auf welche Weise kann das Bein abgetrennt werden? Welche Risiken gibt es dabei? Da M selber Laie ist, wird er sich aus den gleichen Quellen informiert haben, die auch mir als Erzähler zur Verfügung stehen. Damit das auch funktioniert, ist die spätere Erzählperspektive wichtig.

5. Das Bein muss ab
Hier ist im Prinzip keine weitere Recherche notwendig, da es an dieser Stelle hauptsächlich um die Gründe von M geht, sich das Bein abschneiden zu lassen. Allerdings: Um die Motive von M glaubwürdig darstellen zu können, wäre es nicht verkehrt, sich Fälle von menschen zu suchen, die ähnliches gemacht haben. Das was M vorhat, ist schließlich nicht fiktiv. Die korrekte Bezeichnung für das, worunter M leidet, nennt sich Body Integrity Identity Disorder(BIIDE) – An dieser Stelle habe ich schon etwas vorgeriffen und nach der korrekten Bezeichnung gesucht.

6. Es geht los
Nicht weiter notwendig. An dieser Stelle ist alles bereits gesagt bzw. geschrieben worden.

In den nächsten Schritten wird es dann darum geht, mögliche Erzählperspektiven für die Kurzgeschichte auszuloten und das recherchierte Material zu ordnen.

2 Kommentare

  1. Nein Thomas Mitleid darfst Du nicht erwarten, dafür aber großen Respekt, uns an Deinem Projekt teilhaben zu lassen. Die Sache mit der Kloschüssel wird dann eine wundervolle Anekdote bei der ersten öffentlichen Lesung sein.

    Ich konnte mir ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen.

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