Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Aus dem Tagebuch eines Fünfjährigen. Im Fernsehen war wieder diese Frau zu sehen, von der Papa sagt, sie sei unsere Bundeskanzlerin. Bei uns war sie aber nie zum Kaffee trinken.

Die Frau aus dem Fernsehen lässt sich immer alles von anderen sagen, meint Papa. Da kennt er sich aus, denn auf der Arbeit sagt ihm sei Chef auch immer, was er machen soll. Zu Hause ist Mama sein Chef. Oder Oma.

Letzte Woche hat ein Mann aus Frankreich, wo wir im Urlaub waren, der Frau aus dem Fernsehen gesagt, sie soll Oma abschieben. Das war bestimmt der, der auf dem Campingplatz auch so böse geschaut hat, wenn ich morgens an seinem Wohnwagen vorbeigelaufen bin.

Die Frau aus dem Fernsehen hat gesagt, dass sie Oma nicht abschieben will. Das finde ich schade, denn ich hab mich schon gefreut, ihr Zimmer zu bekommen. Vielleicht lässt sich die Frau ja noch umstimmen. Papa hat mal bei Abendessen gesagt, die Frau hätte ihre Meinung geändert, weil ihr jemand einen Brief geschrieben hat. Seit dem mischt Mama immer Jod unters Essen, weil sie meint, das würde uns schützen.

Gegen Oma hat das aber nicht geholfen. Vielleicht sollte ich heimlich ihre Sachen packen und der Frau aus dem Fernsehen einen Brief schreiben. Ich schreibe ihr auch, dass ich ihre Perlenkette verstecke, wenn sie Oma nicht abschiebt. Das ist nicht nett, aber das ist Oma ja auch nicht.

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