Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Das Mikrofon kam näher. „Können Sie was zum Unfallhergang sagen?” „Nein tut mir leid, ich suche mein Bein.” „Aber Sie haben doch sicher ein paar Sätze für unsere Schaulustigen an den Fernsehern zu Hause!” „Verdammt nein, mein Bein!”

Im Schlaraffenland für Sensationsreportagen ging es manchmal etwas ruppiger zu. So mancher hatte sich in den Sommermonaten sein Feldbett neben der Autobahn aufgestellt. Der Urlaubsverkehr brachte immer wieder mal neue Versionen eines beim Publikum beliebten Stückes. Nicht immer waren die Opfer so wortkarg wie heute. Jeder wollte doch zumindest einmal ins Fernsehen. Dafür musste man schon mal was tun. Sich vor laufender Kammera mit dem Ex zoffen, talentfrei singen oder eben möglichst stillvoll verbluten.

Mittlerweile hatte der Mann eingesehen, dass er sein Bein nicht finden würde und versuchte, aufzustehen. Ein sehr unschöner und unwürdiger Augenblick für ihn, der sich aber gerade in der Nahaufnahme besonders gut machte. Quote machen, war die Devise.

Den Zuschauern halfen die Qualen anderer, das eigene Elend zu vergessen. Zwischen Abendessen, Bier und Sportschau war kein Platz für Mitleid.

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