Gestern Abend auf der Rückfahrt mit der Stadtbahn in Bielefeld saßen hinter mir zwei junge Frauen, die sich über die bevorstehende Europawahl unterhalten haben.
Kennst du schon den Wahl-o-mat? Da kann man so Fragen beantworten und bekommt dann angezeigt, was man wählen soll.
Ignorieren wie der Einfachheit mal das „soll”, denn der Wahl-o-mat versucht nur, anhand von Fragen, die aus den Parteiprogrammen destilliert sind, die größtmögliche Übereinstimmung zu ermitteln – ohne jedoch eine Empfehlung zu geben.
Also ich sollte ja eigentlich die Frauen wählen. Liegt wahrscheinlich am Geschlecht. Wenn du angibst, du bist eine Frau, musst du die Frauen wählen. Wenn du Christ bist, halt die CDU.
Wenn ich den Wahl-o-mat (der, nebenbei gesagt, aus mir einen Grün-Wähler gemacht hat, was mich nicht weiter verwundert) richtig in Erinnerung habe, dann gibt man dort weder Geschlecht noch Name und Adresse an. Schliesslich wird die Webseite ja nicht vom Bundesinnenministerium betrieben. Ich würde auch nicht soweit gehen und behaupten, dass man als Christ unbedingt CDU wählen sollte. Was Jesus heute sagen würde, um einen prominenten C-Politiker zu zitieren, ist in großen Teilen von dem entfernt, was die beiden C-Parteien als Parteiprogramm bezeichnen.
Irgendwie ist die Tierschutzpartei ja nicht falsch. Tiere sind schliesslich wichtig.
Was die beiden Jungwählerinnen übersehen, ist die Substanzlosigkeit der Parteiprogramme vieler Splitterparteien. So leid es mir tut: nur mit Tierschutz kann man keine Politik machen. Regierungsarbeit verlangt wesentlich mehr. Wer sich nur auf einen gesellschaftlichen Aspekt konzentriert, ist mehr Lobbygruppe denn Partei. Auch die Grünen haben sich im Laufe ihrer Geschichte in dieser Hinsicht gewandelt – wir unterschlagen an dieser Stelle mal den liberalen Lobbyverein, dessen erstaunlich anpassbares Profil ihm immer wieder zur Regierungsverantwortung verholfen hat.
„Ich würde ja die Partei wählen, die sich für mehr Rechte für Azubis einsetzt, bessere Arbeitszeiten und längere Ferien durchsetzt.”
An dieser Stelle lässt sich der Unterschied zwischen Allgemeinwohl und Einzelinteressen verdeutlichen. Eine Gesellschaft kann auf Dauer nicht überleben, wenn in ihr jeder Einzelne nur seine Interessen verfolgt. Sinnbildlich müssen alle an einem Strang ziehen. Nur können Individuen einen Staat, eine Nation bilden. Die Aufgabe von Parteien ist es dabei, eine Balance zu schaffen zwischen den unterschiedlichen Einzelinteressen und dem Allgemeinwohl. Der politische Diskurs, Meinungs- und Willensbildung sind dabei von großer Bedeutung.
Auch wenn immer wieder vom Niedergang der großen Volksparteien die Rede ist, so sind diese letztendlich die Stütze unsere Gesellschaft – gerade weil in ihnen unterschiedliche Flügel unter einem Dach letztendlich ein breites Spektrum abdecken.
Was soll man den beiden Jungwählerinnen daher raten? Nichts, denn sie werden ihren eigenen Weg finden und gehen. Auch das muss eine Gesellschaft aushalten können. Bei aller Nörgelei an ihren Aussagen sollten wir eins nicht übersehen: beide wollen zur Europawahl gehen und beide setzten sich intensiv mit der Wahl auseinander. Mitunter das Gegenteil der oft attestierten Wahlmüdigkeit oder Desinteresse der jungen Generation.
Eine Antwort
Ich muss sagen, dass es bei den Parteien, die zur Wahl stehen, meistens sehr schwer ist, eine zu finden, die einem entspricht. Für mich zumindest. Als ich das erste Mal zur Wahl ging, waren fast alle Parteien für mich unwählbar. Momentan finde ich kein einziges Wahlprogramm ansprechend. Das „Desinteresse“ und die „Wahlmüdigkeit“ kommen nicht von ungefähr…