Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Es gibt Erwartungen, die bleiben unausgesprochen. Ebenso gibt es unaussprechliche Erwartungen. Dazwischen gibt es Erwartungen, von denen man gar nichts weiß oder bei denen man sich nicht darüber im klaren ist, was in letzter Konsequenz dahinter steckt.

Ich habe etwas ausgeholt, um zu erklären, worüber ich mich selber erschreckt habe. Zu erklären, warum am Ende eine Selbsterkenntnis stand, die mich beschämte.

Wie schon mal erwähnt, wohnen wir einem Altenheim gegenüber. Im Prinzip sind die Bewohner sehr ruhig. Seit einigen Jahren aber schon gibt es eine alte Dame, der Rufe immer mal wieder zu hören sind – unabhängig von der Tages- oder Nachtzeit.

Monoton schallt dann ihr „Hallo; Hallo.” immer wieder durch die Nachbarschaft. Nach einigen Minuten, manchmal auch erst nach einer Stunde, kehrt wieder Ruhe ein. Es ist eine seltsame Mischung von leuchten Grusel und genervt sein, die sich in einem vermischen.

Holen wir noch mal aus, um weiter zu erklären. Ich gehöre zu den Menschen, die nicht durchschlafen können. Mehrmals in der Nacht stehe ich auf, geh dann zum Klo, trink was, grübele vor mich her und geh wieder schlafen. Das klappt soweit auch – mehr oder weniger.

Heute Nacht jedenfalls konnte ich im Badezimmer, bei geöffnetem Fenster, immer wieder die alte Dame rufen hören. Selbst heute morgen, beim duschen.

Man macht sich anfangs natürlich so seine Gedanke. Braucht die Frau Hilfe? Wird sie schlecht oder gar nicht betreut? Irgendwann möchte man dann nur noch, dass sie aufhört zu rufen. Ruhe will man haben – und ist unaufrichtig zu sich selbst.

Natürlich könnte das Personal für Ruhe sorgen. Gerade das nicht genau wissen wollen wie macht das hinter der Erwartung steckende so erschreckend: Die alte Frau ruhig stellen mit Medikamenten oder was auch immer, nur damit die Nachbarn nicht belästig werden.

Nach dem mir das klar geworden ist, störten mich die Rufe nicht mehr. Es gehört zum Leben dazu, so was aushalten. Irgendwann ist jeder von uns alt. Wohl möglich, dass wir es dann sind, die rufen, ohne eine Antwort zu erwarten. Die rufen, um ihre Einsamkeit zu überwinden.

3 Kommentare

  1. Eine Erkenntnis, der ich nur zustimmen kann. Leider bleibt heute dem Pflegepersonal nur noch wenig Zeit, sich ausgiebig um die alten Leute zu kümmern. Ich habe allerdings immer mehr das Gefühl, dass diese kapitalistische Gesellschaft diesen Leuten nur noch eine geringe Lebenseffizienz zugesteht und sie daher mehr als Ballast, statt als Bereicherung ansieht.

  2. Hi,

    muss gerade meine Feeds aufholen, daher erst heute ein Kommentar dazu. Hast du den jemals nach der Geschichte hinter den rufen gefragt? Das würde sicherlich zu mindestens bei dem Verstehen helfen. Und wenn man versteht, sind die rufe auch nicht mehr so schlimm.

    Mfg der mad-bob

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