Wie der teilweise doch schon etwas sinnfreien Werbung für das „Event” zu entnehmen ist, steht der nächsten evangelische Kirchentag vor der Tür – diesmal in Köln. Die Kirche, so wird einem glauben gemacht, stehe an einem Punkt, wo sie ihr Profil schärfen müsse. Wozu ja auch die mit ins Boot geholte Unternehmensberatung helfen soll.
Was aber bewegt die Menschen abseits der kirchenbürokratischen Strukturen tatsächlich in ihren Herzen? Es ist nicht sogar so, dass sich zwischen Atheismus und dem offiziellen Christentum der beiden großen Amtskirchen eine Form von Glauben manifestiert hat, die viel eher christlich im eigenen Sinne ist?
Im SZ-Magazin von letzter Woche fand sich ein sehr interessanter Artikel zum Ausverkauf der Kirche und zum Verlust ihrer Mitglieder: „Korinther 9,99 €” von Christian Nürnberger. Darin ein Gedanken, der die Misere treffend auf den Punkt bringt:
Jesus lebt – das ist heute keine Gewissheit mehr, die das Dasein der Christen beflügelt. Der Satz dient nur als Geschäftsgrundlage einer Funktionärskirche, als gemeinsame Grundlage, an die man besser nicht rührt, denn niemand könnte heute verbindlich sagen, was er eigentlich bedeutet.
Meine eigenen bisherigen Erfahrungen waren fast immer die, das Kirche erdrückend ist. So erdrückend, dass sie den Glauben erstickt. Was, und diese Frage stelle ich mir immer wieder, hat Kirch mit Glauben zu tun? Bietet sie einen Raum für Menschen, für Gott? Oder schnürt sie ein Korsett um die natürliche Religiosität und versucht diese in kontrollierte Bahnen zu lenken?
Ein gemeinsamer Glaube ist sicher etwas, was verbindet, verbinden kann. Gemeinschaft, gerade auch bezogen auf Religion, kann einen Gegenpol zu Hedonismus, zur grenzenlosen Erhöhung des eigene Ichs über die Köpfe andere hinweg, bilden. Da kein Mensch ohne Fehl und Tadel ist, benötigt eine Gemeinschaft Regeln – selbst eine Glaubensgemeinschaft.
Irgendwo auf dem langen Weg von den Urchristen zu Kirche von heute sind aber die Regeln zum Selbstzweck geworden. So zumindest fühlen die meisten Menschen, die ihrer Kirche den Rücken gekehrt haben. Diese Abkehr wird oft falsch verstanden als Abkehr vom Glauben. Dabei ist sie nichts anderes als eine stumme Anklage, ein nicht mehr einverstanden sein mit den Strukturen, die den Glauben behindert statt ihn stärken.
Ich denke, es gibt sogar, um es überspitzt zu formulieren, viel mehr Christen als es den Kirchen recht ist. Nur passen die meisten nicht zur offiziellen Auslegung dessen, was als Christ zu gelten hat. Für mich ergeben sich zwei entscheidende Fragen. Zum einen die, wie das eigene christliche Verständnis abseits der Kirche gelebt werden kann. Zum anderen die Frage, die sich in meinem und in vielen anderen Fällen die (evangelische) Kirche stellen sollte: Wie bekommen wir diese Menschen wieder mit in unser Boot? Es wären doch eigentlich genau die Menschen, die es wieder flott machen könnten.
Die Kirche benötigt keine Unternehmensberatung, kein Produktmarketing für den Glauben. Was der Kirche wirklich fehlt, ist das Salz der Erde.
5 Kommentare
Meine Erfahrungen als aktiver Christ und Protestant sind, dass die Kirche – zumindest unsere (unierte) evangelische Landeskirche in Baden – zwei Seiten hat:
Die eine ist die bürokratische Funktionärskiche, die mit dem wirklichen Leben, Arbeiten und Glauben an der Basis nicht viel zu tun hat.
Das geht bei mir bis auf Kirchenbezirksebene. Mein oberster Vorgesetzter hat sowas von keine Ahnung, was in einem Gemeindehaus an Arbeit anfällt, dass ich selbst für einen Staubsauger kämpfen (!) muss.
Die andere ist die Kirche, die wirklich aus Christen besteht. Hier werden sehr wohl Thesen, Verordnungen und Meinungen der Funktionärskirche angezweifelt, diskutiert und abgelehnt. Auch auf Landeskirchenebene.
Ich bin der Meinung, dass Patchworkglauben nicht die Lösung sein kann. Viel zu schnell driften die Leute dort in alle radikalen Lager ab. Ich halte die Kirche für gläubige Christen immer noch als die Institution, wie sie ja auch von Christus und Paulus gedacht war. Wie Kirche dann aussieht, wie man sie gestaltet, wohin man sie lenkt und was man draus macht, ist eine andere Frage, die die Bibel uns nicht beantworten kann und die wir selbst entscheiden müssen.
Hier tut halt die evangelische Kirche mit ihrer Demokratie: Wer in seiner Gemeinde engagiert und gewillt ist, schaft es leicht auch in höhere Gremien der Funkionärskirche. Wenn er dann den Bezug zu seinen Wurzeln nicht verliert und nicht vergisst, was er in seiner Heimatgemeinde (die oft am nähesten an den Leuten zwischen Atheismus und Kirche steht) gelernt hat und was ihm nicht gefallen hat, hat er gute Chancen, auch wirklich etwas zu verändern.
Es ist oft ein Frage des Willens. Die Funktionärskirche gefällt mir auch nicht. Aber wir haben Möglichkeiten, sie zu verändern, wir können von unten eine Menge Salz anhäufen.
Salz der Erde – das war doch auch mal Thema eines Kirchentages. Ich fahre trotzdem nach Köln.
Amtskirche hin oder her. Auf einem Kirchentag gibt es viel mehr zu entdecken. Zahlreiche konkrete Projekte und Vereine stellen sich dort vor, die zeigen wie Glauben Menschen helfen und die Gesellschaft unserer Erde verbessern kann. Dabei geht es nicht nur um spirituelles Gedöns, sondern auch um die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen. Ich konnte zumindest in den letzten Jahren gute Kontakte sammeln.
Die „offizielle Auslegung“ der Kirche – was soll denn das sein? Die evangelischen Kirchen haben keinen Papst, der so etwas garantieren könnte.
Die Auslegung geschieht gemeinsam „im Hören auf die Schrift“ – so heißt es im Kirchenrecht.
Jede Gemeinde ist selbst verantwortlich – und da gibt es – da gebe ich Dir recht – solche und solche. Und vielleicht auch mehr solche.
Deshalb aber in Pauschalkritik zu verfallen halte ich nicht für angemessen. Alle ChristInnen sind Kirche – und deshalb, auch für die „“““Amtskirche““““ verantwortlich.
@Chris: Meine Erfahrungen aus den letzten Wochen (Stichwort Pail-Gerhard-Kirche) haben mir gezeigt, dass es bei der evangelischen Kirche sehr wohl eine Amtskirche gibt. Eine Kirchenleitung, die sich über den Willen der Gemeinde hinweg setzt – trotz des erheblichen Widerstandes der Gemeinemitglieder.
Selbstverständlich gibt es eine „Amtskirche“ – mit all dem, was gut ist (Zuverlässigkeit, Kontinuität, Geschichtsbewußtsein, gerechte Verteilung von Resourcen) und all dem, was einen sehr aufregen kann (Sesselfurzer, Vewaltungswahnsinn, RichtlinienfetischistInnen etc.).
Was ich sagen wollte: alle evangelischen ChristInnen sind Kirche – wo die wahre Kirche ist, ist immer eine schwierige Frage. So viel kann man aber wohl festhalten (und auch das ist seit Luther Grundbestand evangelischer Theologie): wahre Kirche findet sich nicht pauschal innerhalb der kirchlichen Verfaßtheit („Amtskirche“), aber eben auch nicht pauschal außerhalb bei allen (austretenen) Philantrophen.