Die Schlacht um die Deutungshoheit um die Ursachen von Gewalt, Amokläufen und das Böse in der Welt an sich geht in die nächste Runde. Zunehmend entsteht der Eindruck, dass der Teufel in deutschen Kinderzimmern Rekrutierungsbüros eröffnet hat und Killerspiele statt Kinderspiele verteilt, um die Jugend zu verderben. Dabei eskaliert nicht nur die Gewalt, sondern auch die Diskussion um ein Für und Wieder eines Verbotes der angeblich gefährlichen Spiele.
Dabei ist es dringend geboten, den Pauschalurteilen, Meinungen und sich zum Teil am Rande des Schwachsinns befindenden, wohl aber medienwirksamen Äußerungen eine fundierte Analyse entgegenzustellen. Ich bin mir sicher, solches sicher nicht an dieser Stelle leisten zu können. Aber ich kann zumindest meinen bescheidenen Teil dazu beitragen, den Fokus der Diskussion in andere Bahnen zu lenken. Auf Grund meins Pädagogikstudiums bilde ich mir auch ein, behaupten zu dürfen, dass es keine monokausale Ursache für den Amoklauf von Sebastian B. gegeben hat und folglich auch in Zukunft, bei weiteren Taten, die so sicher folgen werden wie das Amen in der Kirche, keine einfache Erklärung für die Gründe der Amokläufer geben wird.
Fangen wir also endlich an, die Sedimentschichten der Vorurteile abzutragen, die uns den Blick auf die wahren Ursachen versperren.
Bei konservativen Politikern wie Edmund Stoiber setzt eine Art pawlowscher Reflex ein. Kaum fallen Stichwörter wie „Killerspiele” oder „EU-Beitritt der Türkei”, läuft ihnen der Geifer aus dem Mund. Sie erregen sich über Themen, ohne sich mit ihnen in der Tiefe beschäftigt zu haben. Bleiben wir bei den beiden genannten Beispielen. Sowohl der EU-Beitritt als auch die so genannten Killerspiele haben wesentlich mehr Dimensionen. Sie lassen sich nicht singulär betrachten.
Der Beitritt der Türkei würde die EU bereichen, gleichzeitig auch das Signal setzten, dass die Europäische Union kein Club von verbohrten Christen ist. Die Glaubwürdigkeit der EU würde ebenso gestärkt wie ihre Position als Vermittlerin bei Verhandlungen in der arabischen Welt. Als das verblasst, wenn Politiker im Tiefflug über die Stammtische fliegen, Schwafelbomben abwerfen, Magazine von Vorurteilen verschießen und leere Worthülsen zurücklassen – eine Politik der verbrannten Themen.
Kommen wir zu den Killerspielen. Auch hier werden vorhanden Vorurteile geschürt. Es ist reiner Populismus, wenn davon gesprochen wird, Killerspiele müssten in Deutschland endlich verboten werden. Zum greift für diese schon längst die USK-Einstufung, der Verbot des Verkaufes an Personen unter 18 Jahren bis hin zur Indizierung, die schärfste Waffe im Kampf gegen so genannte jugendgefährdeten Inhalte, die sich in Deutschland eben auch gegen Erwachsene richtet.
Es ist sicher richtig, wenn jetzt nach der Tat darüber schwadroniert wird, dass die bisherigen „Schutzmaßnahmen” nicht gegriffen haben. Sie verhindern keinen Verkauf, sondern sie erschweren ihn nur, denn im EU-Nachbarland gilt eine andere Altersfreigabe. Spiele wie jüngst Gears of War, welches offiziell in Deutschland nicht erhältlich sind, werden dort frei ab 16 verkauft. Für Jugendliche aus Bayern ist es nur ein kleiner Schritt über die nicht mehr vorhandene Grenze, für andere nur ein Mausklick entfernt. Wirkungsvolle Maßnahmen zur Unterbindung dürften sich sicherlich nicht mit EU-Recht vereinbaren lassen.
Allein also in der Dimension „Verfügbarkeit” ist schon zu sehen, dass ein Verbot der Killerspiele wenig sinnvoll ist. Wobei natürlich auch hinterfragt werden muss, was sich überhaupt hinter dem schwammigen Begriff Killerspiel verbirgt. Mir fällt derzeit nur ein Spieletitel ein, bei dem der Spieler einen Auftragskiller spielt. Bei Spielen wie Counter Strike oder Rainbow Six geht es ja letztendlich darum, als Spieler mit Sondereinsatzkräften der Polizei Terroranschläge zu verhindern. Das sollte doch eigentlich ein lobenswertes Training für die Wirklichkeit sein, denn dem Bürger wird im zunehmenden Maße suggeriert, dass die Welt dort draußen nur so von Terroristen wimmelt, die lediglich auf den richtigen Zeitpunkt zum Zuschlagen warten. Da ist es doch löblich, wenn unsere Jungend für den Ernstfall trainiert, um nicht wie üblich wegzuschauen, sondern eingreifen und retten zu können.
Bevor es jetzt aber noch zynischer wird, schauen wir uns lieber die nächste Dimension an. Killerspiele sind mitnichten Auslöser der Tat. Sie sind eine Zufälligkeit. Nur weil jemand einen Ego-Shooter (um mal einen anderen Begriff aufzugreifen) spielt, wird er nicht automatisch zum Killer. Wäre dem so, würden die Zeitungen jeden Tag voll von Berichten über Amokläufe sein. Auch andere Spiel und Spielsachen bergen keinen Automatismus in sich. So werden aus Kindern, die gerne mit der Eisenbahn spielen, nicht zwangsläufig Lokführer. Selbst Jungs, die ab und an mal die Katze quälen oder die kleine Schwester ärgern, sind nicht unrettbar verloren, sondern werden durchaus Tierarzt oder Lehrer.
Das wohl verheerenste an der aktuellen Diskussion ist die Leugnung andere Ursachen. Wer den Abschiedsbrief von Sebastian B. ließt, wird erkennen, dass es keinen andere Schlussfolgerung gibt als das die Ursachen für seinen Tat in der Gesellschaft zu suchen sind. Eine Gesellschaft, in der Mitschüler, Lehrer und Eltern versagt haben. In der die Vermittlung von Werten nicht funktioniert hat, in der ein Mensch systematisch ausgegrenzt wurde und sich in eine Parallelwelt geflüchtet hat.
Diese Parallelwelt war nicht das Killerspiel, sondern setzte sich zusammen aus den Splitter der Welt, wie wir sie kennen – mit dem Unterschied, dass Sebastian diese Welt anderes interpretiert hat. Im Brief wird deutlich, dass er, wie zu viele in seinem Alter, eine Phase durchgemacht, die von einer überwiegend gesellschaftskritischen Haltung geprägt ist. Das bestehende System wird abgelehnt, als böse empfunden. Die meisten von uns wandeln ihre Kritik, ihre notwenige Rebellion gegen die Elterngeneration in positive Energie um. Sie engagieren sich in einer Friedensgruppe, treten einer Partei bei (so wie ich zum Beispiel), werden Vegetarier oder machen sonst was. Zum Killer werden die wenigsten, auch wenn die Sprache in dieser kritischen Phase des Ankommens in der Gesellschaft durchaus von Gewalt geprägt ist.
Phantasie ist das eine, sie tatsächlich ausleben, ist was ganz anderes. Killerspiele sind Reitzmuster für die Phantasie, sie dienen als Ventil für Triebe, die der Mensch seit Uhrzeiten in sich trägt. Sie sind keine Handlungsvorlage für die Wirklichkeit.
Erziehung ist letztendlich auch eine Methode der Domestizierung des Menschen. Er wird für den Umgang mit Artgenossen, für das Einpassen in die Gesellschaft gezähmt. Bei einem Amoklauf Anfang der Woche sollte daher die Frage im Raum stehen, an welcher Stelle die Erziehung versagt hat. Oder ist es ein Betriebsunfall, der systembedingt bei einem gewissen Prozentsatz der Kinder und Jugendlichen auftritt? Möglicherweise, was auch der Brief bestätigen würde, gibt es auch gesellschaftliche Entwicklungen, die unseren Kindern keine Zukunftsperspektive mehr bieten. Über all das müsste diskutiert werden, nicht aber über Killerspiele.
Bedauerlicherweise steht aber das Resultat, wie bei jeder Vorverurteilung, schon fest: die Türkei wird nicht EU-Mitglied und Killerspiele, was auch immer damit gemeint ist, werden künftig in Deutschland verboten sein.
6 Kommentare
Ewig die gleiche Diskussion. Langsam wird´s langweilig… Meiner Meinung nach haben die Spiele nichts mit den jüngsten Unglücken zu tun. Für mich bieten Sie auch keinen Anreiz zu solchen Taten. Du hast schon völlig recht wenn Du sagst, dass die Ursachen vielmehr in der heutigen Gesellschaft zu suchen sind. Mir kann keiner erzählen, dass ein Jugendlicher von jetzt auf gleich beim Counter Strike spielen auf die Idee kommt, am nächsten Morgen eine Schule zu stürmen und alles nieder zu machen, bloß weil er es gerade im Spiel gemacht hat. Da könnte man genauso das Fernsehen zensieren, verbieten oder was auch immer. Wieviele Leute dort täglich in Serien oder Filmen umgebracht werden… Da rennt doch auch keiner gleich los und spielt die Morde nach.
Ich stimme dir weitgehend zu und möchte noch hinzufügen, dass das Spielen von „Killerspielen“ m. E. als Symptom, nicht als Ursache sozialer Verwahrlosung angesehen werden muss. Wer soweit ist, dass er sich stundenlang hinter die Kiste setzt und Ego-Shooter spielt, hat sowieso einen an der Waffel.
Du hast es erfasst, IMHO. Nur nicht selbstkritisch werden, dann muesste man ja was aendern. Dann lieber mit dem Unterleib (oder der Speicheldruese) reagieren.
Verdammt, ich kriege dabei die Wut…