Die WM ist vorbei, der letzte deutsche Fan vermutlich auch wieder (sofern er nicht arbeitslos ist) nüchtern und das wohl bedauerlichste Ereignis des vergangenen Wochenendes holt die Menschen zurück in den Alltag.
Gemeint ist nicht der der Tod von Rudi Carell, denn das war wirklich ein Verlust, sondern der Videocast von Angela Merkel. Würde der eingestellt werden, gäbe es vermutlich außer bei der produzierenden Agentur keine Tränen. Wie dem auch sei, im Gegensatz zu Fußballspielern, die im Halbfinale schlapp machen, wird hier bis zum bitteren Ende weiter über die Politikprosa von Frau Merkel geschrieben:
Wenn die Bundeskanzlerin aufhört, Lügen zu erzählen, werde ich aufhören, über ihre Politik Wahrheiten zu berichten.
Wobei das nicht ganz richtig ist. Ich werde erst dann aufhören über Frau Merkel zu schreiben, wenn sie sich aus der Politik verabschiedet. Wobei Gerüchten zu folge einige ihrer eigenen Parteimitglieder sich zur Zeit wieder Mühe geben, daß dieser Traum Wirklichkeit wird.
Bevor wir uns jetzt aber zu große Hoffnungen machen, schauen wir auf das, was für uns zur Zeit in Berlin angerichtet wird. Die Gesundheitsreform hat es Angela Merkel auch in dem Videocast von vergangen Samstag angetan. Vielleicht glaubt sie ja, mehr von der Sache zu verstehen, wenn sie häufiger davon redet.
Aber auch wenn ich mein Urteil schon längst gefällt habe, gebietet es doch der Anstand, sie zu Wort kommen zu lassen:
Die Bundesregierung hat Eckpunkte für eine neue Gesundheitsversicherung beschlossen.
Ja, das wissen wir bereits. Mir noch nicht bekannt war allerdings, daß Frau Merkel auch lächeln kann. Wobei ich zugeben muß, das mich das ziemlich irritiert hat. Hat ihr etwa jemand kurz vor Beginn der Aufzeichnung einen Witz erzählt? Oder musste sie über ihre eigene, folgende Rede, schmunzeln?
Vielleicht ist es ja auch nur der Gedanke, daß sie die Folge der Gesundheitsversicherung nicht ausbaden muß, der ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Die Wahrheit werden wir, wie so oft, nie erfahren.
Dafür aber, was es mit der Gesundheitsversicherung auf sich hat:
Diese Eckpunkte zeigen eine deutliche Veränderung unseres Gesundheitssystems – und zwar in dem Sinne, dass wir mit dem Geld der Versicherten besser umgehen und die Strukturen durchsichtiger machen, die heute oft von keinem mehr durchschaut werden.
Schon ist das Lächeln wieder weg und dem typischen Gesichtsausdruck eines geprügelten Hundes gewichen. Na also, Frau Merkel, es geht doch! Das letzte, was wir in unserem selbstgewählten Elend sehen wollen, ist eine lächelnde Bundeskanzlerin.
Das die Eckpunkte eine deutliche Veränderung des Gesundheitssystems zeigen, dürfte unumstritten sein. Darüber, welche Auswirkungen die Veränderungen haben, lässt sich allerdings trefflich streiten. Zumal dann, wenn mit nichts sagenden Floskeln behauptet wird, daß mit dem Geld der Versicherten künftig besser umgegangen würde und gleichzeitig die Krankenkasse die nächste Beitragserhöhung verkünden.
Das die Strukturen von den wenigsten noch durchschaut werden, ist keine Fehlentwicklung, sondern Absicht. Es wäre sonst auch wesentlich einfacher, die enorme Geldverschwendung und Subvention der Pharmaindustrie zu durchschauen.
Unser Ziel ist es dabei, dass wir in einer älter werdenden Gesellschaft mit weniger Kindern trotzdem garantieren können, dass alle am medizinischen Fortschritt teilhaben können.
Dazu bedarf es eigentlich keiner Gesundheitsreform. Es wäre billiger und praktischer, wenn jeder Bundesbürger mindest eine Aktie eines großen Pharmaunternehmens erhält. Dadurch würde jeder am medizinischen Fortschritt in Form von Dividenden teilhaben.
Die Bundeskanzlerin stellt sich das aber etwas anders vor:
Das heißt, dass alle die bestmögliche Gesundheitsversorgung bekommen – egal, ob sie jung oder alt, egal, ob sie arm oder reich sind.
Der Satz hört sich zunächst positiver an, als er eigentlich gemeint ist. Es wird nämlich nicht von der besten Gesundheitsversorgung gesprochen, sondern von der bestmöglichen. Also die beste mögliche Versorgung. Wobei möglich nur das ist, was auch finanzierbar ist. Damit sind wir dann wieder beim Kernpunkt (oder auch einem der Eckpunkte) der Gesundheitsversicherung. Medizinische Versorgung nach Kassenlage.
Welche Veränderungen bevorstehen, zählt Angela Merkel sehr schön auf:
So werden in Zukunft die Apotheken und Kassen Preise für Arzneimittel mit den Arzneimittelherstellern verhandeln können. So wird es in Zukunft möglich sein, enger zwischen niedergelassenen Ärzten und dem Krankenhausbereich zusammenzuarbeiten. Ärzte werden eine Gebührenordnung erhalten und damit Ihnen, den Versicherten, zeigen können, zu welchen Preisen sie arbeiten.
Ich will als Kranker keine Preisschilder beim Arzt lesen oder mit dem Apotheker um den Preis für ein Medikament verhandeln, soll ich will wieder gesund werden – so wie die meisten Menschen auch. Wer Schmerzen hat, benötigt in erster Linie Hilfe. Es kann und darf nicht soweit kommen, daß ein kranker Mensch vor der ersten Behandlung, vor der ersten Diagnose, Tage mit dem Studium verbringt, um die besten Kondition herauszufinden.
Was es mit dem Gesundheitsfonds auf sich hat, daß erklärt uns Frau Merkel im folgenden
So werden wir auch einen Fonds haben – ich will Sie da gar nicht mit technischen Details langweilen –, aber dieser Fonds wird sicherstellen, dass Sie in Zukunft als Patient und Versicherter sehen können, wie Ihre Kasse mit Ihrem Geld umgeht, und welche Leistungen sie Ihnen anbietet im Vergleich zu anderen Kassen.
nicht. Das Wort Fond scheint ihr aber noch Schwierigkeiten zu bereiten. Wenn das mal kein böses Omen ist! Was aber meint sie damit, daß sie uns mit technischen Details nicht langweilen will? Das macht sie doch bereits mit dem ganzen Videocast! Die Formulierung von ihr bedeutet daher entweder, daß sie selber noch keine Ahnung hat, wie die Gesundheitsfonds im Detail funktionieren sollen, oder aber sie hält uns schlicht und einfach für zu dumm, dieses Konzept zu begreifen.
Der nächsten Satz der Bundeskanzlerin sollte langsam genossen werden:
Dass wir am Anfang des nächsten Jahres die Beiträge erhöhen müssen, das ist nicht unsere Antwort auf die Zukunft, sondern das ist die Summe der Fehler aus vielen vergangenen Jahren.
Ihr ist also schon bewusst, daß die erneute Erhöhung der Beiträge bei den Wählern und Bürgern nicht so gut ankommt. Sie weiß auch, daß diese kein Weg ist, der beliebig oft gegangen werden kann. Praktischweise schiebt sie daher die Schuld auf andere. Unglücklicherweise verschätzt sie sich aber etwas im zeitlichen Rahmen. Wenn sie von der „Summe der Fehler aus vielen vergangenen Jahren” spricht, dann sind damit weitaus mehr Jahre gemeint, als Rot-Grün unter Schröder an der Macht war. Der Zeitraum umfasst also auch die 16 Jahre unter ihrem Mentor Helmut Kohl.
Demnach ist der Satz – und das macht in so schön, daß ich in immer und immer wieder anhören könnte – ein Schuldeingeständnis. Allerdings wage ich zu bezweifeln, daß das Nobert Blüm gefallen wird.
Für die Zukunft wollen wir etwas ganz Neues einführen.
Ja, die Krankenüberraschung. In jedem siebtem Jahr …
Aber lassen wird die Späße und hören lieber, was uns da bevorsteht:
Wir werden Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge festschreiben und wir haben uns entschlossen, die Kosten für die Gesundheit der Kinder in Zukunft aus Steuermitteln zu finanzieren.
Wenn die Beiträge festgeschrieben werden, dann müssen sie in Folge der normalen Inflation entweder jährlich überprüft und angepasst werden, oder langfristig wird es halt für das gleiche Geld weniger Leistung geben. Letztendlich läuft es darauf hinaus, daß die meisten Arbeitnehmer eine zusätzliche Privatversicherung abschließen. Genau das ist ein weiterer Eckpunkt der Gesundheitsreform. Durch schrittweise vorgenommen Einschnitten den Bürger dazu zu bringen, daß er sich auf seine Kosten versichert und auf Dauer den Anteil der Arbeitgeber vollständig abzuschaffen, so wie es in Teilen der CDU schon heute gefordert wird.
Das die Kosten für die Gesundheit der Kinder aus Steuermitteln bezahlt werden soll, ist bedenklich. Sehr bedenklich sogar. Angesicht leerer Kassen stellt sich doch die Frage, aus welchen Steuermitteln. Die Forderung von Finanzminister Peer Steinbrück nach weiteren Steuererhöhungen erscheint da nachvollziehbar. Auf der anderen Seite aber: Wenn schon für die Bildung unserer Kinder so erschreckend wenig ausgegeben wird, kann in Hinblick auf die Gesundheitsfürsorge nur vom Schlimmsten ausgegangen werden.
Die Verantwortung für die Gesundheit der Kinder trägt die ganze Gesellschaft.
Gleiches gilt aber wohl auch für viele andere Bereiche, Frau Merkel.
So werden wir auch sicherstellen können, dass die Krankenkassenbeiträge in Zukunft nicht steigen werden, sondern dass der medizinisch-technische Fortschritt stattfinden kann und trotzdem stabile Lohnzusatzkosten entstehen.
Schade eigentlich, daß Politikern nicht bei jeder Lüge die Nase etwas wächst. Das die Krankenkassenbeiträge nicht mehr steigen werden, glaubt der Bundesregierung doch keiner mehr. Solche Märchen wurden uns in der Vergangenheit viel zu oft erzählt. Hand aufs Herz: Wozu sollte denn die Praxisgebühr mal sein?
Im Mittelpunkt all unserer Bemühungen steht der Versicherte und die Beiträge, die er zahlt.
An der Stelle, wo im Transskription der Versicherte steht, hat sich die Kanzlerin im Videocast etwas verhaspelt. Ursprünglich wollte sie wohl was anders sagen. Der Satz bedarf daher einer inhaltlichen Überarbeitung, damit er stimmt. Richtig ist er in dieser Form: „Im Mittelpunkt all unserer Bemühungen stehen die Privatversicherungen und die Beiträge mit denen sie verdienen.”
Denn nur so wird klar, warum es die Privatversicherungen und ihre Lobbyisten geschafft haben, daß die Lasten der Gesundheitsreform von ihnen nicht getragen werden. Nach wie vor werden die Privatversicherungen nicht mit einbezogen in ein umfassendes Konzept zur Gesundheitsfürsorge.
Wir wollen, dass mit dem Geld vernünftig umgegangen wird und dass wir das Beste für Ihre Gesundheit daraus machen.
Wir wollen, daß mit unseren Wählerstimmen vernünftig umgegangen wird und dass sie das Beste für unser Land daraus machen. Davon sind wir weiter als bisher entfernt.
Deshalb müssen wir auch überkommene Strukturen überwinden. Manch einem wird nicht alles gefallen, aber wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land weiter eine gute Gesundheitsversorgung haben.
Noch einmal: Es werden nur dort Strukturen überwunden, wo die Lobby zu schwach ist. Bei den Privatkrankenkassen, wo ein dringender Reformbedarf besteht, ändert sich nichts.
Überrings gefällt mir nicht nur nicht alles, sondern gar nichts von ihrer so genannten Gesundheitsreform.
5 Kommentare
danke! ich finde es imemr klasse, deinen blog zu lesen und statt den merkelcast so zu hören (ich guck nicht hin), das ganze bei dir nachvollziehen zu können.
ich finde die merkel an sich nicht schlecht. als politiker hat man es halt schwer, schließlich muss man all seine blätter mit unkreativen ideen beisammen halten und ab und zu auch noch darüber reden. und das ist schwer, imemrhin kommt bei dieser tätigkeit der iq immer näher an den einer türklinke ran. aber das ist eine andere geschichte.
Ich habe heute auf phoenix eine reportage über münte gesehen.
Dort hat er im Mai 2005 (vor der Wahl) gesagt.“[…] es wäre doch irsinnig das Renteneintrittsalter hochzusetzten.[…].
Danach folgte eine Redeauszug aus seiner Überzeugungsansprache zur Heraufsetzung auf 67 Jahre vom November 2005 (nach der Wahl!)
Mal etwas fhising for comments:
Die Beiträge im Merkelcast sind immer wieder ein Akt für sich. Ich glaube, länger sitze ich nur an den Podcast-Folgen. Schön an dem Videocast ist, daß man sich daran so schön abarbeiten kann, denn das, was Frau Merkel nicht erwähnt, aber in den Tagen zuvor gesagt wurde, lässt ihre „Show“ wirklich immer wieder im Glanz der Volksverdummung strahlen.
Ich gehe aber stark davon aus, daß unsere Bundeskanzlerin genau weiß, wie schlecht ihr Videocast ist. Und in so eine Wunde Salz zu streuen, bereitet mir natürlich großes Vergnügen.
Münte war im Mai 2005 (im NRW-Landtagswahlkampf) in Kevelaer – großartig! Ich war natürlich auch da.
Steinbrück war, ebenfalls im Mai 2005, in Kleve – großartig! Ich war natürlich auch da.
Als Wahlkampfleiter vor Ort kennt man natürlich Hinz und Kunz aus dem Unterbezirk und freut sich, die Genossinnen und Genossen zu sehen, aber natürlich auch mal unsere Promis. Und ja – man hat auch seine Vorteile dadurch, dass man der Webmaster der beiden Landtagskandidaten war und ist ;-).
Was die verlorene Landtagswahl in NRW ausgelöst hat, ist bekannt. Auch die Basis war zunächst geschockt von dem, was da am Wahlabend aus dem Willy-Brandt-Haus von Münte kam und von Gerd bestätigt wurde.
Eigentlich wollte ich in Sachen Wahlkampfleitung kürzer treten und im Landtagswahlkampf quasi einen Nachfolger „einarbeiten“. Jetzt war ich dann aber doch noch mittendrin, statt nur dabei. Und kenne die Argumente im Bundestagswahlkampf natürlich auch, habe sie schließlich auch hier vor Ort vertreten.
Ich habe auf allen von mir betreuten Homepages und in der Fußgängerzone selbstverständlich auch gegen die „Merkelsteuer“ gewettert. Habe unsere Spitzenpolitiker hier an der Basis verteidigt.
Dass eine große Koalition, die ich nie gewollt habe und immer noch nicht will, weil ich dafür nicht wahlgekämpft und argumentiert habe, Kompromisse bedingt ist klar. Aber nicht mit noch ’nem Steuerpünktchen mehr, paar Jährchen länger bis zur Rente usw.
Gerade die beiden oben genannten haben meinen Entschluss bestärkt, mich nicht mehr für ein öffentliches Amt wie z. B. Rat zur Verfügung zu stellen. Denn dazu gehört auch Glaubwürdigkeit, wenn ich hier auch „nur“ von einer ehrenamtlichen Tätigkeit spreche.
Deswegen trete ich noch lange nicht aus der SPD aus, nein, ich bin hier immer noch Vorstandsmitglied und werde das auch durchziehen die nächsten Jahre, wenn es denn in zwei Jahren zu meiner Wiederwahl käme.
Aber ich werde mich hinter keinen Infostand mehr stellen. Das bin ich meiner eigenen Glaubwürdigkeit schuldig. Münte und Peer haben ihren Anteil daran.
Tja, was soll ich dazu noch sagen? Ich denke, ich verrate mal ein kleines Geheimnis. Aus der Partei werfen geht ja nicht mehr. Es war in einem Wahlkampf Anfang der 90er Jahre, als wir als JUSOs in der Fußgängerzone von Wesel auch Wahlkampf machen sollten. Haben wir auch brav getan. Auch damals lief schon einiges schief in der SPD (verfilzter Stadtrat etc.), so daß wir in Gesprächen den Passanten mehr oder weniger eine ganz andere Wahlempfehlung gaben.