Wie wohl die meisten, so lasse auch ich mir nur ungern das Wochenende vermiesen. Besonders dann, wenn der Freitag schon so ein unschönes Ende fand. Unvergossene Tränen, die niemals trockenen werden. Ich hatte wirklich gehofft, das Argentinien …
Aber ich will ja nicht über Fußball schreiben, daß wäre bei mir ja auch ungefähr so, als wenn ein Blinder über Farben reden würde. Auf der anderen Seite: Es gibt genügend Politiker, die von dem was sie tun, keine Ahnung haben und trotzdem sogar auf der Regierungsbank sitzen. Somit sind wir dann doch bei dem, worüber ich eigentlich schreiben wollte.
Wobei das mit dem wollen so eine Sache ist. Eigentlich will ich gar nicht mehr über den Videopodcast von Angela Merkel schreiben. Ich will das nicht mehr hören und lesen, was sie von sich gibt. Vermutlich bin ich da nicht der Einzige. Genau aber daran liegt die Gefahr. Die Politik der Bundesregierung wird nicht dadurch besser, daß sie von den Bürgern einfach ignoriert wird, so wie ein Fahrradfahrer den unvermeidlichen Regen ignoriert. Zumal jeder Fahrradfahrer und Freund von einem Fahrradfahrer weiß, irgendwann kommt der Moment, wo es Bergauf geht. Das strengt an, aber die Aussicht von oben ist wunderbar. Das es momentan in Deutschland bergauf geht, wird wohl niemand ernsthaft behaupten – wahrscheinlich fehlt uns das richtige Doping.
Ich weiß, ich schweife schon wieder ab. Was wollte ich noch mal sagen? Ja richtig, auch wenn sie grässlich ist (die Politik, nicht Frau Merkel), so muß sie dennoch ständig beobachtet werden. Wenn es mich also wieder dazu treibt, mir den Podcast unserer Bundeskanzlerin anzutun, dann aus der Einsicht dieser Notwendigkeit heraus und weil ich eine gewisse perverser Ader habe (fürchte ich zumindest).
Zu den Dingen, die ich am wenigsten Leiden kann, gehört sicher auch, wenn jemand an unserem Grundgesetzt rumpfuscht. So wie es die Gründväter der Bundesrepublik entworfen haben, halte ich es immer noch für ein großartiges Werk. Mit besonderer Skepsis betrachte ich daher die Föderalismusreform, die sich zwangsläufig auf das Grundgesetz auswirkt. Angela Merkel hat sich am Samstag damit auseinandergesetzt:
„An diesem Freitag hat der Bundestag nach langen und oft auch sehr schwierigen Verhandlungen die Föderalismusreform beschlossen. Die Föderalismusreform regelt viele Dinge in unserer Verfassung, in unserem Grundgesetz, völlig neu.”
Frau Merkel, ich bin entsetzt! Gibt es keinen PISA-Test für angehende Politiker? Sie müssten doch eigentlich wissen, daß wir in Deutschland ein Grundgesetzt haben, aber definitiv keine Verfassung. Also wenn es möglich ist, mit solchen Halbwissen Bundeskanzlerin zu werden oder Physikerin, dann möchte ich mir definitiv nicht von solchen Leuten noch weitere Atomkraftwerke bauen und ins Land stellen lassen. Jetzt bin ich schon auf 180, dabei hat sie gerade erst angefangen:
„Wir werden es schaffen, dass die Verantwortlichkeiten zwischen der Bundesebene und den Ländern neu geordnet und klarer voneinander getrennt werden, d. h. dass die Länder einige Aufgaben zugeteilt bekommen.”
Es muß am Wetter liegen, daß ich diesen Satz auch nach zweimaligem Hören und dreimaligen lesen immer noch nicht verstanden habe. Das „wir werden es schaffen” irritiert mich an der Stelle einfach. Ich war im Glauben, daß die Föderalismusreform durch Beschluss bereits Tatsachen schafft, nach denen sich dann die Bundesländer dann zu richten haben. Das die Länder etwas zugeteilt bekommen sollen, erscheint mir auch missverständlich ausgedrückt. Wohlfahrtsverbände teilen Spenden zu, aber es geht wohl kaum darum, daß der Bund den Ländern etwas schenkt. Oder vielleicht doch? Warten wir es ab. Für das erste können wir davon ausgehen, daß wenn von zuteilen gesprochen wird, daß Zuteilen von neuen Karten wie beim Pokerspiel gemeint ist.
Das Bild passt auch viel besser. Die Karten werden neu gemischt, zugeteilt und anschließend wird der Einsatz erhöht. Kommt alles sehr bekannt vor. Warum die Länder neue Karten bekommen, erklärt uns Frau Merkel im nächsten Satz:
„Sie sind damit als Länder näher bei den Bürgern und können Dinge entscheiden, wie z. B. die Gaststättenregelungen, das Versammlungsrecht, die Ladenöffnungszeiten, aber auch den Strafvollzug und das Heimgesetz.”
Das die Länder näher beim Bürger sind, wage ich mal zu bezweifeln. Es gibt in Deutschland nur wenige wirklich bürgernahe Einrichtungen. Zum Beispiel BDN oder den Verfassungsschutz. Die kommen sogar zum Bürger nach Hause und lassen in fürsorglich überwachen. Aber zurück aus den Schatten. Die Aussage an sich kann hinterfragt werden. Die Landesregierung in Düsseldorf ist, was die subjektiv gefühlte politische Distanz angeht, genauso weit von Bielefeld entfernt wie die Bundesregierung in Berlin. Es macht daher keinen Unterschied, ob eine Änderung der Ladenöffnungszeiten in Düsseldorf oder Berlin beschlossen wird.
Zumal der me-too-Effekt sowieso dafür sorgen wird, daß nach völliger Freigabe der Ladenschlusszeiten in einem Bundesland die anderen Länder nachziehen werden. Gleiches passiert ja zur Zeit bei den Studiengebühren. Es würde den Verwaltungsaufwand und die Menge bedruckter Beschlussvorlagen erheblich reduzieren, wenn solche Entscheidungen zentral in Berlin gefällt würden. Für die Landesregierungen hätte das auch einen enormen Vorteil. Bei unbeliebten Entscheidungen könnten sie immer auf Berlin verweisen und ihre Hände in Unschuld waschen.
Den Strafvollzug und das Strafrecht lassen wir an dieser Stelle mal aus dem Spiel. Das ist ein Thema für sich, bei dem es schon seit Jahren wie im beim olympischen Zehnkampf zugeht. Schneller (verurteilen), höher (e Mauern bauen), weiter (weg sperren).
Da es auch in der Politik in vielfacher Hinsicht ein Geben und Nehmen gibt, bekommt der Bund aber auch was von den Ländern zugestanden:
„Im Gegenzug bekommt der Bund neue oder alleinige Verantwortlichkeiten. Das heißt zum Beispiel, dass bei terroristischen Gefahren in Zukunft das Bundeskriminalamt koordinierend tätig sein kann, wenn die Gefahr über die Grenzen eines einzelnen Bundeslandes hinausgeht. Das ist angesichts der internationalen Lage von außerordentlicher Bedeutung. Es heißt auch, dass wir als Bund endlich ein Umweltgesetzbuch machen können, weil wir jetzt die Zuständigkeiten allein als Bund haben.”
Das der Bund groß in das Geschäft mit der Terrorismusbekämpfung einsteigen will, ist schon seit Schäubles Flugzeugabschussphantasien klar. Das war also insofern nichts neues. Beim Umweltschutz ist aber das interessant, was unsere Bundeskanzlerin verschweigt. Zwar behält sich der Bund das Recht vor, irgendwann tatsächlich ein Umweltgesetzbuch (das sind die viele Seiten aus Papier mit einem Deckel aus Pappe drumherum) zu machen. Allerdings können die Bundesländer in Fragen des Wasser- und Umweltschutzes eigene Gesetze beschließen. Dumm nur, daß Hochwasser tragende Flüsse wie der Rhein durch mehr als ein Bundesland fließen, denn so darf ein Land im wahrsten Sinne des Wortes das ausbaden, was andere verzapfen.
Woher Frau Merkel ihren Optimismus nimmt, ist daher zu bewundern:
„Insgesamt, glaube ich, dass mit dieser Reform etwas sehr Wichtiges gelungen ist. Die Bürgerinnen und Bürger werden in der Lage sein, klarer zu erkennen, wer für eine politische Entscheidung verantwortlich ist, ob der Deutsche Bundestag oder aber die Länder.”
Das Gegenteil ist wohl der Fall. Die Föderalismusreform folgt der einfachen Devise: „Wenn du sie nicht überzeugen kannst, verwirre sie.”
Verwirrt dürfte der Bürger wohl sein, das ist also schon mal tatsächlich gelungen. Unabhängig davon, wie die Verantwortungen zwischen Bund und Ländern hin- und hergeschoben werden, ist dem Bürger auch in Zukunft noch klar, wer für das Schlamassel die Verantwortung trägt. Selbstverständlich die Volksvertreter – und vor Vertretern hat uns schon damals Eduard Zimmermann bei Aktenzeichen XY ungelöst gewarnt.
Unsere Bundeskanzlerin sieht das verständlicher Weise ganz anders. Für sie liegen die Vorteile klar auf der Hand:
„Es wird weniger Verfahren im Vermittlungsausschuss geben, bei denen zum Schluss nicht mehr klar ist, wer welchen Kompromiss durchgesetzt hat. Und wer Verantwortliche kennt, der kann mit ihnen auch darüber sprechen, ob einem eine politische Entscheidung gefällt oder weniger gefällt.”
Natürlich wird es erstmal weniger Verfahren im Vermittlungsausschuss geben, da die Entscheidungsträger erstmal die Lücken in der Föderalismusreform finden müssen. Aber zu glauben, das es künftige klar wäre, wer welchen Kompromiss ausgehandelt wird, ist utopisch. Die große Koalition in Berlin definiert doch gerade in dieser Hinsicht den Begriff Kuhhandel völlig neu. Der zweite Satz kann nur ironisch gemeint sein. Niemand wird doch ernsthaft die Möglichkeit haben, selbst wenn er die Verantwortlichen kennt, mit diesen über die Entscheidungen zu reden. Also ich kenne sie auch, Frau Merkel (zumindest aus dem Fernsehen), aber ich glaube nicht, daß sie bereit dazu wären, mit mir bei einer Tasse Tee darüber zu reden, was mir alles an ihren Entscheidungen nicht gefällt. Unberücksichtigt bleibt auch, daß es nicht nur Menschen gibt, denen Entscheidungen weniger gut gefallen. Es gibt sogar erstaunliche viele, den die bisherigen Entscheidungen der Bundesregierung gar nicht gefallen.
„Ich glaube, dies ist ein guter Tag für Deutschland gewesen, an dem wir diese Föderalismusreform beschlossen haben.”
Ausnahmsweise mal ein Punkt, wo es leicht fällt, zu zustimmen. Das war tatsächlich ein guter Tag. Schönes Wetter, die Fußballnationalmannschaft hat gewonnen, das Wochenende lächelte viele Arbeitnehmer an. Dank der Föderalismusreform, wenn sie denn durch den Bundesrat geht, wird dies aber wohl der letzte gute Tag gewesen sein.
„Ich glaube, wir haben damit Mut zur Veränderung bewiesen und gleichzeitig den Bürgern mehr Klarheit über politische Entscheidungen gegeben.”
Meine Eltern haben mir beigebracht, daß Mut und Dummheit oft Hand in Hand gehen. Ich glaube nicht, daß sich das in den letzten Jahren fundamental geändert hat, den solche Weißheiten bedürfen keiner Reform.