Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Bei der Propaganda für das Web 2.0 wird immer wieder betont, daß das „klassische” Web um viele wichtige soziale Funktionen erweitert wird. Beständig werden auch Standards weiter entwickelt (aus XHTML wird XHTML2) oder neue Konzepte (semantisches Web) in den Raum geworfen. Ein wenig erinnert das an Architekten, die versuchen das beste und schönste Haus zu konstruieren.

Was aber ist mit den künftigen Bewohnern (so fern es denn welche geben wird) dieses Hauses? Wurden die auch verbessert oder obliegt es ihnen, sich der neuen Architektur anzupassen? Technische Neuerung haben bisher in der Regel dazu geführt, daß sich der Mensch, wenn er Schritt halten wollte, anpassen musste. Das wird beim Web kaum anders sein.

Eine ketzerische Frage wäre daher, wem das Web nützt oder andersherum, brauchen wir die neuen buntverpackten Möglichkeiten, die uns allerorts angepriesen werden wirklich? Geht das Abendland unter, wenn Bilder künftig nicht mehr bei flickr hochgeladen werden? Wird der Eurovison Song Contest durch last.fm besser? Tief im Inneren dürften die meisten wohl wissen, daß viele Möglichkeiten im Web vor allem einen Selbstzweck erfüllen. Unser tägliches Leben wäre nicht ärmer ohne sie.

Selbstverständlich geht aber von ihnen ein großer Reiz aus. Ehrlich betrachtet ist es aber der gleiche Reiz, den eine zuckersüße Torte ausstrahlt. Sie macht nicht wirklich satt, aber sie ist einfach etwas, was wir haben wollen. Es ist die Sucht nach einem Stück Luxus, nach vielleicht überflüssigen Gimmicks.

Genauso wenig, wie die Torte uns nicht besser, sondern allenfalls dicker macht, ist es auch mit dem Web 2.0. Es sind neue, verlockende Möglichkeiten die uns wie ein Glas voller Bonbons anlachen. Das Glas kann noch so schön sein, die Verpackung der Bonbon noch so toll glänzen, sie bleiben trotzdem aus Zucker. Die Verpackung ändert den Inhalt nicht. Gleiches gilt für das Web. Eine neue Verpackung verändert nicht zwangsläufig die Inhalte, führt auch nicht dazu, daß die Qualität dessen, was dort besser gefunden werden kann, besser wird.

Was bei all der technophilen Euphorie fehlt, ist der Blick auf den Menschen. Sicher, wir haben uns, wenn wir den Höhlenmenschen als Vergleich heranziehen, schon etwas weiterentwickelt. Auch schlagen wir (zumindest ohne Alkoholeinfluss) nicht mehr mit Keulen aufeinander ein. Hypertext erzeugt noch lange keinen Hypermenschen. Vor der Einführung immer neuer Spielereien (denn das sind sie in den meisten Fällen), sollte eigentlich eine Debatte darüber erfolgen was wir davon wirklich brauchen.

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