Im Gegensatz zu anderen Persönlichkeiten ist die Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Lage, fehlerfrei vom Telepromter abzulesen. Leider ist das auch schon alles, was sich positiv über die Dauerwerbesendung für einen Brillenhersteller Neujahrsansprache von Merkel sagen lässt. Der ganze Rest ist dazu geeignet, auf wundersame Weise die Fonduereste wieder zum Vorschein zu bringen.
Äußerst unangenehm fällt dabei der oberlehrerhafte Tonfall auf, verbunden mit Sätzen, die von einem schlecht bezahlten Motivationstrainer oder überbezahlten Gymnasiallehrer stammen könnten:
„…was kann man alles in einem Jahr erreichen? Es ist eine ganze Menge! Wie wäre es, wenn wir uns heute Abend das Ziel setzen, im kommenden Jahr überall noch ein wenig mehr als bisher zu vollbringen?
Sie hat gut reden, wird jetzt vielleicht der eine oder andere sagen. Ihr geht es gut, sie hat in diesem Jahr doch einiges von dem erreicht, was ihr wichtig war. Aber mir? Wie soll es weitergehen nach dem Verlust meines Arbeitsplatzes? Wann finde ich endlich einen Ausbildungsplatz? Wie können wir die Pleite unseres Betriebes verhindern? Was wird aus mir und meiner Familie?
Ich verstehe diese Fragen. Ich weiß, dass vielen bereits sehr viel abverlangt wird. Ich wage es dennoch noch einmal: Ich möchte uns ganz einfach ermuntern herauszufinden, was in uns steckt! Ich bin überzeugt, wir werden überrascht sein!”
Entsetzlich vor allem das pädagogische „wir”. Die deutsche Bevölkerung ist weder grenzdebil noch altersschwach. Sie wird momentan nur von den falschen Leuten regiert, was eine gewisse Lethargie hervorruft. Uns ermuntern, herauszufinden was in uns steckt, meint sie. Es drängt sich bei solchen Formulierungen der Verdacht auf, Frau Merkel hätte sich die Rede von den Machern der unglückseligen „Du bist Deutschland Kampagne” schreiben lassen.
„Sie haben schon lange eine Idee? Es muss gar nichts Überragendes sein, aber sollte 2006 nicht das Jahr sein, in dem Sie versuchen, diese Idee in die Tat umzusetzen?”
Da ist was Wahres dran. Bereits schlechte Ideen und alte Lösungen reichen aus, um damit Bundeskanzlerin zu werden. Pastoral geht es weiter:
„Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Sie werden sehen, wie viel Freude es macht, wenn man Schritt für Schritt voran geht.”
Erinnert mich stark an: „Wenn viele kleinen Menschen, viele Kleine Schritte tun …” Die Übersetzung in die moderne Marktwirtschaft laute: „Strengt euch mal an ihr Würmer, der Sharholdervalue muss steigen …”
Gruselige Ehrlichkeit entspringt den folgenden Sätzen:
„Unerreichbare Ziele setzen? Das ist nicht unsere Art. Unhaltbare Versprechungen machen? Davon haben Sie zu Recht genug.”
Schön wäre es, diese Sätze im Frühjahr noch mal zu hören, wenn Frau Merkel die Vertrauensfrage stellt und Neuwahlen verkündet.
Herztriefend geschichtlich wird es dann in Bezug auf die WM 2006:
„Im kommenden Jahr haben wir als Land alle gemeinsam eine große Chance! Die Welt wird auf Deutschland schauen wie zuletzt vor 16 Jahren beim Fall der Mauer. Natürlich, die Dinge sind in ihrer Bedeutung überhaupt nicht zu vergleichen, aber dennoch: Im Ergebnis werden Milliarden Menschen die Fußballweltmeisterschaft am Fernseher verfolgen und Millionen Menschen werden uns besuchen kommen.”
Die Welt hat schon viel länger auf Deutschland geschaut. Vor allem herabgeschaut und das nicht ohne Grund. Erinnern wir uns einfach daran, daß 2005 auch das Jahr war, an dem sich das Kriegsende zum 60. Mal jährte. Die WM mal außer acht gelassen, lassen sich Weltkrieg und Mauerfall wunderbar miteinander vergleichen, wobei es jetzt sehr böswillig wäre zu behaupten, daß beide Ereignisse Deutschland nachhaltig geschadet haben. Oder positiv gesprochen: Zumindest stammt Frau Merkel nicht aus Österreich.
Die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland scheint der Bundeskanzlerin besonders am Herzen zu liegen, denn sie geht ausführlich darauf ein. Sätze wie diese
„Ein Sieger der WM steht für mich schon heute fest: Das sind wir, die Menschen in diesem Land, weil wir mit der ganzen Welt ein Fest feiern können. Die WM hat, wie ich finde, ein wunderbares Motto: Die Welt zu Gast bei Freunden. Werden Sie Freund oder Freundin! Lassen Sie uns alle gemeinsam Freunde unserer Gäste werden.”
gehen runter wie irakisches Öl. Dabei ist die Interpretation von Frau Merkel ein wenig schief. Der Sieger der WM sind nicht die Menschen im Land, sondern die Firmen, die an der WM verdienen. Im Zweifelsfall sollte allen klar sein, daß die tollen WM T-Shirts die diverse Firmen anbieten, nicht in Deutschland sondern irgendwo billig im Ausland gefertigt wurden – wie so viele andere Waren auch. Da bekommt der Spruch „Die Welt zu Gast bei Freunden” gleich eine ganz andere Bedeutung
„Die Finanzen haben wir beim letzten EU-Gipfel in Ordnung gebracht. Aber weil Europa insgesamt handlungsfähiger werden muss, weil wir uns auch unserer gemeinsamen Werte bewusst sein müssen, sollte es nach der Denkpause beim europäischen Verfassungsprozess bald zu greifbaren Ergebnissen kommen.”
Schön gesprochen. Gemeint ist aber, daß sie dem deutschen Steuerzahl tief in die Tasche greifen wird, damit nicht so europafreundliche Länder wie England ruhig gestellt werden.
„Wir denken auch bei großen Naturkatastrophen an andere. Für die beim Tsunami einzigartige Spendenbereitschaft danke ich Ihnen sehr. Ich möchte Sie zugleich bitten, auch an die stillen Tsunamis zu denken, also an die zum Teil vergessene Not.”
Frau Merkel, ihre Art die Sprache und Begriffe zu vergewaltigen ist schon erstaunlich. Stille Tsunamis. Was für ein Wort. Erinnert mich ein wenig an den Kölner Kardinal Meißner, der auch dafür bekannt ist, Begriffe in völlig unpassenden Zusammenhängen neu zusammenzubringen und dabei jegliches Feindgefühl (Babycaust) vermissen lässt.
„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir sehen, wir können gemeinsam so viel erreichen! Jeder kann seinen Beitrag leisten! Und wenn wir auch bei uns zu Hause künftig unsere Probleme in den Griff bekommen wollen, und zwar auch das Problem Nr. 1, das ist ohne Zweifel die erschreckend hohe Arbeitslosigkeit – dann müssen wir noch mehr als bisher tun. Genau das hat sich meine Regierung vorgenommen.”
Schön, daß das nur die Regierung von Merkel ist. Deutschland und die Menschen, die darin leben, sind daher völlig unschuldig und unbeteiligt an dem, was diese Regierung noch anrichten wird. Problem Nr. 1 ist sicher das Fehlen jeglicher Bodenhaftung bei den Bewohnern des Planeten Bundestag.
„Überraschen wir uns damit, was möglich ist! Fangen wir einfach an – ab morgen früh.”
Gut. Wir haben zwei Weltkriege verloren und sind auch sonst nicht so beliebt. Aber das, solche Sätze als Neujahrsansprache, haben wir nun wirklich nicht verdient! Liebe Frau Merkel, überraschen sie die Menschen in Deutschland mal mit ein wenig Ehrlichkeit, mit etwas Mut. Bringen sie Deutschland Hoffnung durch Neuwahlen und nicht die Ansprachen, die kein Mensch braucht und die keinem Menschen helfen. Was sie fordern, mag in Teilen richtig sein. Wo aber sind die Politiker, die aus der Dunkelheit heraus als leuchtendes Vorbild vorangehen?
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