Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Treffen im Morgengrauen in Zürich. Mein Informant überreicht mir einen braunen Umschlag. Ich übergebe ihm einen Koffer mit Stimmzetteln zur sicheren Verwahrung im Züricher See. Erst auf der Rückfahrt über Bern öffne ich den Umschlag und werfe einen ersten Blick auf den brisanten Inhalt: „Eine Gebrauchsanweisung für Investoren zur politischen Lage in Deutschland” von der UBS.

Verunsicherten Anlegern werden darin die Feinheiten der Situation nach den Wahlen in Deutschland erklärt. Verschiedene Koalitionsmöglichkeiten und ihre Auswirkungen auf dem Kapitalmarkt werden durchgespielt. Im Rahmen einer großen Koalition fallen Namen wie Peer Steinbrück und Roland Koch.

Ein erstes ernüchterndes Fazit: „Der Wahlausgang entspricht nicht den Erwartungen der Anleger.” Damit hat der deutsche Wähler das Klassenziel nicht erreicht. Wenn jetzt Anleger ihr Geld aus Deutschland zurückziehen, trägt er die Verantwortung dafür. Doch ein wenig später folgen beruhigende Worte, die erklären, warum es auch weiterhin sinnvoll ist, Aktien deutscher Firmen zu erwerben bzw. zu halten:

„Man sollte auch bedenken, dass die meisten grossen Unternehmen mit hoher Marktkapitalisierung ihre Geschäfte weitgehend im Ausland tätigen und von den internen Querelen in Deutschland nicht allzu sehr betroffen sind.”

Das unsere Großkapitalisten ihre Schäfchen längst im Ausland halten, war schon vorher klar. Neu hingegen ist, daß demokratische Wahlen und deren Ergebnisse als „Querelen” bezeichnet werden. Für den Anleger ist es in der Tat bedauerlich, daß wir in Deutschland unser Land noch nicht in eine Aktiengesellschaft umgewandelt haben. Denn dann würden die Entscheidungsprozesse anders verlaufen, streng auf den Shareholdervalue bedacht.

In Zukunft sollte der Wähler beachten, daß Rot-Grün zu Chaos führt und nur eine Schritt nach Rechts die richtige Richtung ist, die Stabilität, Zucht und Ordnung garantiert:

„Ausserdem wird die Regierung, ungeachtet dessen, welche Koalition das Rennen macht, im Vergleich zu einer rot-grünen Regierung weiter rechts stehen. Jeder Schritt nach rechts verbessert den Entscheidungsfindungsprozess, solange der Bundesrat (Länderkammer) von CDU/CSU dominiert wird.”

[Zitate aus UBS Wealth Management Research / 19.09.2005 – Informant bleibt auf eigenen Wunsch anonym]

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