Tage, da gehen einem die Flüche aus fangen so an wie der heutige. Da sitzt man unschuldig im Zug, während beim nächsten Halt plötzlich die Barbarei zusteigt. Während der Herzschlag langsam wieder normale Formen annimmt und die erste Wut kalt geworden ist, kann ich versuchen, meine Gedanken in Form zu gießen als Ersatz dafür, das sich mein gerechter Zorn nicht entfalten konnte.
Wenn ich ein gutes Buch lese, versinke ich fast vollständig darin, meine Umgebung nehme ich nur noch schemenhaft war. Um diese Versenkung während der täglichen Zugfahrt auch bei steigendem Lärmpegel zu erhalten, schirme ich meine Ohren durch die Berieselung mit leichter Hintergrundmusik von der Außenwelt ab. Zum Lesen ist das einfach fantastisch. Das ganze hat aber einen Nachteil, einen, der mir bisher in der Form nicht bewusst war. Mein sonst erhöhte Aufmerksamkeit auf die Umgebung ist nicht mehr vorhanden. Die einzigen Menschen, die in mein Bewusstsein dringen und auf die ich vorbereitet bin, sind die Zugbegleiter, die meine Fahrkarte sehen wollen. Alle anderen sind egal geht man doch von keiner zu erwartenden Bedrohung aus wie zum Beispiel im Straßenverkehr oder in der Fußgänger “ eh hast du mal nen Euro“ zone.
Vertieft in das Buch, welches ich heute angefangen habe zu lesen „Scipios Traum“ war ich dann auch nicht auf das gefasst, was sich nach dem Halt in Kamen abspielt. Das erste was ich bemerkte, war, dass jemand meine Tasche von dem sonst leeren Sitz links neben mir nahm, und sie auf den leeren Sitz gegenüber befördert, nur um sich dann selber auf den Platz zu meiner linken nieder zu lassen. Angemerkt sei dabei, das rings umher noch viele frei Plätze vorhanden waren. Mein Einwand, dass eine Frage vorher angebracht gewesen wäre, wurde damit abgebügelt, dass ich doch Kopfhörer aufhaben würde. Völlig aus meinem Buch herausgerissen wie aus einem schönen Traum fühlte ich mich völlig wehrlos und ausgeliefert, so dass mir auch kein passender Spruch mehr einfiel. Da von dem Barbaren zu meiner Linken auch widerliche Alkoholausdünstungen ausgingen, suchte ich mir einen anderen Platz – allerdings brachte ich noch den Hinweis auf den unerträglichen Gestank über die Lippen, was dem Mann wohl völlig egal war.
Was bleibt, ist einleeres Gefühl im Kopf und die Verzweifelung darüber, nicht zu wissen, wie man in solchen Situationen am besten reagieren sollte. Sicher, man sagt, der Klügere gibt nach. Das kann aber nicht auf Dauer gut gehen, weil die Welt dann wirklich Bald von der Unverschämtheit und Dreistigkeit solcher Barbaren bestimmt wird und im Chaos versinkt, wenn nicht rechtzeitig Grenzen gesetzt und Regelverstöße geahndet werden.