Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Beim schreiben stellt sich früher oder später die Frage, wer und aus wessen Sicht die Geschichte erzählt. Das der Autor ungleich dem Erzähler ist, sollte noch aus dem Schulunterricht bekannt sein. Dieser Umstand beantwortet aber noch nicht, welche möglichen Perspektiven es gibt. Grob vereinfacht existieren drei unterschiedliche Perspektiven.

Ich-Perspektive

Bei der Ich-Perspektive wird er Erzähler selber zum Gegenstand des Erzählens (vgl. Bücher-Wiki). Dabei muss der Erzähler nicht zwangsläufig die Hauptfigur sein, um die sich die Handlung dreht.

Gestern ging ich zur Bank, um mir dort ein Paar Socken abzuheben.

Mit Erzähler in der Ich-Form sieht das dann so aus:

So erfuhr ich, dass er gestern zur Bank ging, um dort ein Paar Socken abzuheben. Er trug sonst keine Socken im Sommer, daher gab es Anlass zur Sorge, was seinen Zustand anging.

Gerade Schreibanfänger wählen die Ich-Perspektive, da sie ihn als die natürlichste und einfachste Form zum erzählen einer Geschichte erscheint. Dabei ist diese Perspektive deutlich schwieriger als es den Anschein hat. Die Figur in der Ich-Perspektive ist nämlich nicht allwissend, sondern auf ihre Sichtweise beschränkt. Das gilt auch für die zweite aufgeführte Form der Ich-Perspektive, bei der ein Erzähler über eine dritte Person berichtet. Der häufigste Fehler ist an dieser Stelle, zu viel Wissen in die Perspektive einfließen zu lassen, welches streng genommen nur der Autor der Geschichte haben kann.

Auktoriale Perspektive

Dieser Wissensvorsprung führt zur auktorialen Perspektive. Bei der auktorialen Perspektive existiert ein allwissender Erzähler außerhalb der fiktionalen Welt. Wie bei der Ich-Perspektive ist dieser Erzähler wiederum nicht identisch mit dem Autor. Ein Beispiel für diese Perspektive findet sich im Artikle von Rüdiger Heins für das Berliner Zimmer:

Die Geschichte Hans Castorps, die wir erzählen wollen, – nicht um seinetwillen (denn der Leser wird einen einfachen, wenn auch ansprechenden jungen Menschen in ihm kennenlernen), sondern um der Geschichte willen, die uns im hohen Grade erzählenswert scheint ( … ): diese Geschichte ist lange her, sie ist sozusagen schon ganz mit historischem Edelrost überzogen und unbedingt in der Zeitform der tiefsten Vergangenheit vorzutragen.
(Thomas Mann: Der Zauberberg. Frankfurt 1960)

Besondere Merkmale dieser Perspektive sind eine erkennbare Leser-Erzähler-Kommunikation und die Wertung durch den Erzähler mittels ironische Distanz, Kommentare und Vorausdeutungen. In der modernen Prosa wird die auktoriale Perspektive eher selten verwendet.

Personale Perspektive

Die personale Perspektive ist eine Erfindung der Neuzeit. Erzählt wird in der dritten Person aus der Perspektive der handelnden Figur. Von Szene zu Szene kann die Perspektive (engl. point of view) wechseln. Dadurch bietet die personale Perspektive dem Autor eine hohe Flexibilität, da er auch die Sichtweise andere handelnder Figuren, zum Beispiel die des Antagonisten, darstellen kann. Dabei entscheidet man als Autor, wie nah man an die Figuren herantritt, ob man quasi in ihre Haut schlüpft und dem Leser auch die Gedanken der Figur mitteilt. Ein Sonderform der personale Perspektive ist die neutrale Perspektive, bei der kein Erzähler mehr wahrnehmbar ist. Die Handlung wirkt, als ob sie mit einer Kamera aufgenommen worden wäre.

An einem ungewöhnlichen Tag ging er in die Bank, um ein Paar Socken abzuheben. Der Mitarbeiter am Schalter verzog keine Mine, als er erfuhr, was der vor ihm stehende Kunde begehrte.

Bei der personalen Perspektive gerät man als Autor mitunter allerdings an einen Punkt, an dem man sich fragt, wie viele unterschiedliche Perspektiven die Handlung verträgt. Beschränkt man sich auf Protagonist und Antagonist, wären es nur zwei Sichtweisen. Schon ein weiterer Protagonist (bei einem Ermittler-Team im Krimi nichts ungewöhnliches) erhöht das Ganze schon auf drei. Wichtige Nebenfigur verlangen möglicherweise nach einer eigenen Perspektive. Hier gilt es, die richtige Balance zu finden und erkennen, wann die Anzahl der Perspektiven zu hoch ist und die Handlung droht in Einzelteile zu zerfallen.

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