Von allen guten und bösen Geistern verlassen

In der Provinz wird Carsharing schnell verwechselt mit der Enteignung von Autobesitzern. Die Grünen sind mal wieder die Bösen.

Provinztheater

Manche Themen für meinen Blog muss ich erstmal etwas liegen lassen, bevor ich dazu etwas schreibe. Andernfalls besteht nämlich die Gefahr, dass ich mich noch mehr aufrege, als ich es ehedem bereits tue. So ging es mir gestern wieder, als die Emder Zeitung über Carsharing schrieb und ich den Fehler begang, mir die Kommentare zum Artikel auf Facebook anzusehen.

Fangen wir aber, wie so häufig, von vorne an. Von ganz vorne. Geboren wurde ich in Wesel, einer Stadt, in der ich mehr als 20 Lebensjahre verbrachte. Wesel hat etwas mehr Einwohner wie Emden und einige Gemeinsamkeiten. So wurden zum Beispiel beide Städte größtenteils im Krieg zerstört. Die Fußgängerzonen verloren ab den 1990er Jahren zunehmend an Attraktivität, die Jüngeren verließen nach der Schule fluchtartig den von ihnen empfundenen Provinzmief — einer davon war ich.

Allerdings lasse ich nichts auf das Theater in Wesel kommen, denn das empfand ich damals in der Oberstufe als herausragend. Kein eigenes Ensemble, aber hervorragende Gastspiele. Daher meine ich mit Provinztheater eher ein bestimmtes kleinstädtisches Verhalten. Provinziell könnte man auch sagen und wäre dabei noch höflich in der Beschreibung bestimmter Zeitgenossen, denen beim Thema Carsharing zuerst folgendes einfällt:

Mein Auto ist mein Auto!Das saut mir keiner ein,das verbeult mir keiner und ich weiss um den technisch einwandfreien Zustand! Basta!!

Derjenige witterte wohl Enteignung, ohne sich überhaupt informiert zu haben, was hinter Carsharing steckt. Einer meiner ehemaligen Lehrer hätte dazu den passenden Spruch gehabt. Erst nachdenken, dann melden.

Wunschgedanke Carsharing

Gleiches gilt für viele andere Kommentare auf Facebook zum Thema. So wird etwa vorgeschlagen, es erstmal mit E-Scootern zu probieren (damit kann man auch wunderbar seinen Wocheneinkauf transportieren). Oder aber, man mokiert sich darüber, das sei ja wohl wieder typisch für die Grünen. Zumal Carsharing ja auch Parkplätze wegnimmt.

Auf die Idee mit den Parkplätzen kann man nur kommen, wenn man das Prinzip nicht verstanden hat. Mehr Menschen, die kein eigenes Auto benötigen, weil es attraktive Alternativen gibt, belegen mit ihrem eigenen Auto auch nicht Parkplätze in der Innenstadt. In Emden fehlt es offensichtlich am Bewusstsein für den bewussten Umgang mit dem Auto.

Kommen wir aber mal zum Inhalt des Artikels in de EZ — den auch einige wohl nicht gelesen haben, weil es Geld kostet. Tatsächlich stammt der Vorschlag zum Thema Carsharing von den Grünen — irgendjemand muss ja mal die Zukunft in Emden vorantreiben.

Autofrei in Emden

An den Punkt sind wir nämlich wieder in der Provinz, tief in der Provinz. Carsharing kenne ich sowohl aus Bielefeld als auch aus Köln. Sei wirklich sehr unterschiedliche Städte, in denen wohl nur die Wenigsten glauben, man würde ihnen mit so einem Modell irgendetwas wegnehmen. Im Gegenteil, Carsharing wird als Bereicherung empfunden. Während der Umzugsplanung bereitet es mir erhebliche Kopfschmerzen, dass es keinerlei solcher Angebote in Emden gab und gibt. Meine Frau und dich haben uns nämlich an ein weitestgehend autofreies Leben gewöhnt. Ja, wir kommen bisher auch in Emden ohne Auto aus, fänden die Möglichkeit, im Bedarfsfall mal eins zugreifen zu können, begrüßenswert.

Fehlende Angebote wie etwa eines von Cambio (mir unter anderem bekannt als Partner der autofreien Siedlung in Köln Nippes) lassen sich laut EZ mit nicht vorhandenen Ankermietern erklären. Das sind zum Beispiel Firmen, die ihren eigenen Fuhrpark abschaffen und dann das Angebot von Cambio nutzen, um auf dieses Weise verlässliche Einnahmen für den Anbieter zu generieren.

Den Vorschlag der Emder Grünen, so einen Ankermieter in Form der Stadtverwaltung zu schaffen, halte ich für eine ziemlich gute Idee. Zumal das auch noch die Stadtkasse entlasten würde. Zwei weitere Ankermieter würden dann in Emden benötigt. Die lassen sich sicher finden, wenn man denn wollen würde.

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