Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Für mich war Heiner Geißler einer der bemerkenswertesten Politiker aus der Zeit der alten Bundesrepublik. Jemand, der wie kaum ein anderer die Menschen polarisieren konnte.

Kettenhund und General

In meiner Kindheit regierte nicht nur Helmut Kohl, sondern ihm zur Seite stand ein scharfer Kettenhund in Form des damaligen Generalsekretärs der CDU, Heiner Geißler. Die Sozis fraß er zum Frühstück. Sie wurde von ihm auch als „Fünfte Kolonne“ Moskaus bezeichnet. Für viele wurde er zu einer Projektionsfläche für ihren Unmut über die Bundesregierung. Kohl, Blüm und andere mochte man nicht. Geißler aber hat man richtig gehasst. Zumindest mir ging es damals so.
Je älter ich wurde, desto stärker trat Heiner Geißler in den Hintergrund. Im Herbst 1989 endete seine Karriere als Generalsekretär der CDU, nach dem er vorher erfolglos gegen Kohl aufbegehrt hatte. Den Kanzler rettet der Mauerfall, Geißler rettete wohl möglich sich selber. Mit seiner Positionierung gegen den Kurs von Kohl zeigte er, was ihm wirklich wichtig ist: festhalten an der eigenen Überzeugung. Für Helmut Kohl reihte er sich damit in die lange Reihe seiner Feinde ein.

Zum Tod von Heiner Geißler

JACLOU-DL / Pixabay

Menschen ändern sich

Er selber habe sich nicht geändert, meinte Heiner Geißler noch vor wenigen Wochen in einem Interview mit der Süddeutsche Zeitung. Es wäre die anderen Menschen um ihn herum, die sich geändert hätten und nun offener für seine Position seien. So ganz glauben will ich das nicht. Geißler war schon immer einer Querdenker gewesen. Jemand der durch seine jesuitische Erziehung geprägt wurde. Wie Norbert Blüm gehörte er zu denjenigen, die innerhalb der CDU das soziale Gewissen der Partei bildeten. Menschen, die das C im Parteinamen mit Inhalt füllten und auch selber so lebten. Gerade davor bekam ich ab Mitte der 90er Jahren zunehmen Respekt. Möglich, dass Geißler als Generalsekretär einen Posten inne hatte, der nicht für ihn geeignet war. Er konnte ihn ausfüllen, aber es entsprach nicht dem, was ihn ausmachte.
Das viele später, gerade nach der Jahrtausendwende, lobend über Heiner Geißler sprachen, muss andere Ursachen gehabt haben. Es waren vielleicht die Menschen, die ihre Perspektive auf die Person änderten, es war aber auch der Mensch Geißler selber, der zu sich selber gefunden hatte.

Der Christ Heiner Geißler

Beeindruckt hat mich, dass Geißler eine Position jenseits des Kapitalismus einnahm. Als Generalsekretär fraß er Kommunisten, aber er blieb Zeit seines Lebens der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Ungezügelter Kapitalismus war ihm ein Graus, seine Mitgliedschaft bei ATTAC eine Konsequenz daraus. Von ihm las ich „Was würde Jesus heute sagen“. Ein Buch, das mich bewegt. Schuld daran war über den Inhalt hinaus der Autor selber, den ich mit anderen Augen als früher sah. Ein Mensch, der sich als Christ verstand und aus seiner Religiosität heraus gegen den Sozialabbau wendete.
Geißler hat sich als Autor mit dem Christentum und der Religion auseinander gesetzt, sich dabei aber neue Gegner geschaffen. Nicht jeder teilt seine Ansichten, gerade auch sein letztes Buch „Kann man noch Christ sein, wenn man an Gott zweifeln muss“ sorgte für reichlich Wirbel — und macht mich jetzt beim schreiben dieses Textes neugierig. In einer Interview mit der Zeit Stellt Geißler fest, was die Aufgabe der Kirchen sein sollte: „Die Kirchen müssten Widerstand leisten gegen die Mächtigen dieser Erde.“ Widerstand leisten gegen die Mächtigen dieser Erde — das ist ein Satz, der nachwirkt.
Gestern verstarb Heiner Geißler im Alter von 87 Jahren. Er wird uns allen als Vorbild fehlen.

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