Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Eine unruhige Nacht später ging Wehmeier vor der Morgentoilette im Wohnzimmer nachschauen. Als Kind hatte er immer geglaubt, über Nacht würden sich die Probleme von alleine lösen. Er drückte den Anschaltknopf an der Fernbedienung, aber der Bildschirm des Fernsehers blieb schwarz. Wehmeier fiel ein, dass er geträumt hatte.

Im Traum befand er sich in einer Turnhalle. So eine Turnhalle, wie er sie aus seiner Schulzeit kannte. Zusammen mit anderen Schüler stand Wehmeier in einer Reihe vor einem Tisch, auf dem Urkunden lagen. Eine riesige Frau hatte ihnen den Rücken zugewandt und murmelte unverständliche Worte. Als sie sich umdrehte, hatte sie anstelle des Kopfes einen Bildschirm. Diese Bildschirm-Frau starrte Wehmeier an. Die anderen Schüler sahen alle zu ihm herüber. Mit einem Mal fingen sie an zu lachen, zeigten auf Wehmeier und riefen laut „Schokoladenpudding!“ In dem Moment, wo Wehmeier im Traum an sich heruntersah und feststellte, nur mit einem Salatblatt bekleidet zu sein, wachte er auf.
Dieser Traum kam Wehmeier mindestens genauso merkwürdig vor wie der Umstand, eine defekten Fernseher im Wohnzimmer stehen zu haben. Einen Fernseher, den er sich nach langem zögern erst vor sechseinhalb Wochen gekauft hatte, um das alte Röhrenmodell endlich zu ersetzen. Sicher könnte Wehmeier den Fernseher reklamieren, Ersatz dafür verlangen. Beim Gedanken an die damit verbunden Unannehmlichkeiten spürte eine juckende Stelle auf der linken Seite seines Oberkörpers. Ein weiteres Problem, um das er sich dringend kümmern musste.
Völlig seinen Gedanken nachhängen, wurde ihm erst viel zu spät bewusst, wie weit die Zeit vorangeschritten war. Sie reichte kaum noch, sich anständig zu waschen, geschweige denn ein Frühstück zu sich zu nehmen.
Im blieb daher nur, sich damit abzufinden unterwegs etwas zu essen zu kaufen. Beim Zähne putzen beschloss Wehmeier, an diesem Morgen gegen seine Gewohnheit mit dem Fahrrad ins Amt zu fahren. Die Strecke war zu lang für seinen morgendlichen Spaziergang, der ihm stets als die ungefährlichste Art der Fortbewegung erschien. In öffentlichen Verkehrsmitteln fühlte er sich eingeengt, bekam viel zu schnell eine Gefühl von Atemnot. Im Bus gab es viel weniger Platz als in seinem Büro.
Wehmeier beeilte sich mit dem Anziehen, die farblich nicht zueinander passenden Socken entgingen dabei seiner Aufmerksamkeit. Schnell griff er sich die Aktentasche, schloss hinter sich die Wohnungstür ab und eilte in den Keller. In der ehemaligen Waschküche des Mietshauses stand sein Fahrrad etwas vernachlässig neben anderen.
Durch die geöffnete Kellertür schob er sein Rad die kurze Treppe nach oben. Vögel zwitscherten. Wehmeier wusste um verschieden Vogelarten, sie jedoch auseinander zu halten gehörte nicht zu seinen Stärken. Der Frühling zeigte sich von seiner besten Seite, der Kirschbaum hinter der Stange zum Teppich klopfen blühte bereits. Nach den ersten Metern wurde Wehmeier leichter ums Herz, das laue Lüftchen tat ihm gut. Die Aktentasche auf dem Gepäckträger blieb auch während der Fahrt dort.

An der zweiten Ampel wartet Wehmeier geduldig auf Grün, als sich eine Mann und ein Kind ebenfalls auf Rädern näherten. Beide trugen eine Fahrradhelm. Dem Mädchen gelang es, fehlendes Alter und Körpergröße durch Frechheit wett zu machen, so erschein es Wehemeier. Von der Seite her starrte es ihn an. Genau auf die Stelle auf seinem Kopf, wo die Haare sich bereits lichteten. Gut zu sehen, weil Wehmeier keinen Helm trug. Dann sah das Mädchen herüber zu ihrem Vater, Wehmeier hielt ihn jedenfalls auf Grund der erkennbar Ähnlichkeit dafür, der nur seinen behelmten Kopf schüttelte. Dann sprang die Ampel auf Grün, die beiden fuhren los und Wehmeier blieb einfach stehen. Die Ample musste wieder auf rot gesprungen sein, denn als er endlich in die Pedalen trat, hörte er von links ein scharfes Bremsen. Verwünschungen prasselten auf ihn ein. Er beeilte sich, so schnell es ihm nur möglich die Straße zu überqueren.

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