Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Für mich, Jahrgang 1971, fiel die Kindheit in die Phase des Kalten Krieges. Ein Zeitraum, der von 1947 bis einschließlich 1989 dauerte. Die Bedrohung war ständig präsent. Ebenso die Angst vor der völligen nuklearen Auslöschung. Es konnte jederzeit passieren und schützen konnte man sich nicht.

Mich prägte das ziemlich. Thematisch setzte ich mich mit den Folgen eines Atomkriegs auseinander. Mit Roman die nach dem dritten Weltkrieg spielten ebenso wie mit Sachbüchern, darunter auch „Last Help“ von den Ärzten gegen den Atomkrieg, welches mit sehr drastischen Grafiken und Fotos die Folgen veranschaulichte.

Twilight Struggle iOS

Twilight Struggle iOS

Selbst in der Schule war der Atomkrieg präsent. Als wir im Unterricht „Die letzten Kinder von Schewenborn“ haben, war das nicht nur irgendeine Fiktion, sondern etwas durchaus Vorstellbares. In der Schule geweckt wurde bei mir das Interesse für Gesichte, insbesondere jüngere Geschichte und Zeitgeschichte. Was auch mit meiner politischen Prägung, gerade auch durch meinen Vater, zusammenhängt.

Kalter Krieg war, wenn man so will, ein heißes Thema. Mit dem Fall der Mauer und dem Zusammenschluss von BRD und DDR endete der Kalte Krieg — oder zumindest das, was man darunter verstand. Konfliktpotential gibt es nach wie vor. Der Ostblock, die UDSSR sind zusammengebrochen, sicher. Aber Russland und die USA sind immer noch Großmächte, die über Atomwaffen verfügen. Dazu kommt aber China als weiterer Mitspieler. Aktuell geht die Bedrohung aber nicht von großen Staaten, sondern klein so wie Terroristen aus. Fatalerweise sind diese Bedrohungen das Ergebnis von Handlungen aus der Phase des Kalten Krieges.

Ein langes Vorwort für ein Spiel. Aber ein Vorwort, was das zumindest das Thema des Spiels aufgreift und vielleicht ein Stück weit erklärt, warum mich die Umsetzung begeistert.

Letzte Woche erschien „Twilight Struggle“ für das iPad. Die Entwicklung habe ich mitverfolgt. Das Brettspiel, welches Vorlage für die Umsetzung ist, stand lange Zeit im Board Game Rank bei BoardGameGeek auf Platz eins. Aufrufen zum Kauf konnte ich mich bisher nicht, trotz des thematischen Bezugs. Es lag eher am Genre. Twilight Struggle gehört zu den sogenannten Konfliktsimulationsspielen (CoSim). Die stehen bei mir für dicke Regeln und Unmengen an Pappcountern. Bei einem solchen Spiel, was über 50 Euro kostet und welches man selber noch nie gespielt hat, auch keinen kennt der es besitzt, bin ich grundsätzlich skeptisch.

Als iPad-Titel kostet Twilight Struggle 7,99 Euro. Eine gute Gelegenheit für mich, das Spiel auszuprobieren und kennen zu lernen. Zumal mal mit einem Tutorial an die Regeln herangeführt wird. Seit 8 Tagen hat mich das Fieber gepackt. Abends spiele ich noch zwei drei Runden, morgens nach dem Frühstück folgen die Züge der Onlinepartien. Es ist sowohl möglich, offline gegen die KI zu spielen als auch online gegen echte Mitspieler.

Umsetzung und Atmosphäre von Twilight Struggle. Hintergrundmusik und vor allem auch die Sprachschnipsel versetzen einen zurück in die Zeit des Kalten Kriegs. Die Regeln selber sind gar nicht so komplex, druckt man sie aus, passen sie auf zehn DIN-A4-Seiten. Trotzdem gibt es eine unwahrscheinlich große Menge an Möglichkeiten, bedingt durch die auszuspielenden Karten. Diese Karten nehmen Bezug zu realen Ereignissen und werden im Anhang zu den Spielregeln erklärt (auch in der App). Im Anhang der Spielregeln? Ja, es dauerte nur wenige Tage, bis ich mir die Brettspielversion von Twilight Struggle bestellt hatte. Natürlich mit vielen Pappcountern und einem dicken Regelheft — der größte Teil besteht jedoch aus dem historischen Hintergrund des Spiels.

In Twilight Struggle muss man oft schwierige Entscheidungen treffen. Spielt man eine Karte aus, um Einfluss in Länder zu bekommen, obwohl damit gleichzeitig das positive Ereignis für den Gegner ausgelöst wird? Soll man die Karte lieber in den Wettlauf zum Mond investieren? Ständig hat man den Defcon-Status im Blick, denn wenn der im eigene Zug auf eins sinkt, hat man das Spiel durch die Auslösung des Atomkriegs verloren. Gleichzeitig muss man jedoch militärische Aktionen durchführen, um am Ende einer Runde keine Minuspunkte zu kassieren.

Überhaupt, die Punktewertung. Hier hat nicht jeder Spieler eine eigene Zählleiste, sondern man teilt sich eine. Die Mitte liegt bei Null, jeden Punkt, den die eine Seite gewinnt, verliert gleichzeitig die andere Seite. Das Kräftemessen wird so greifbar.

Wer der Thematik etwas abgewinnen kann und oder komplexere Brettspielumsetzungen mag, sollte sich in jedem Fall Twilight Struggle ansehen. Als Nebenwirkung kann der spätere Kauf des Brettspiels nicht ausgeschlossen werden.

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner