Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Immer am Puls der Zeit sein. Das ist sowohl Vor- als auch Nachteil, wenn man in einer Internetagentur arbeitet. Man bekommt Entwicklungen und Trends mit, versucht immer ganz vorne zu schwimmen. Auf Dauer kann genau das aber auch sehr anstrengend sein. Wer innehält, wir von anderen gefressen.

In den letzten Jahren haben wir in der Agentur stark auf TYPO3 gesetzt. Dabei kann ich nicht leugnen, an dieser Richtungsentscheidung maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Wie kaum ein anderes System lassen sich mit TYPO3 relationale Datenstrukturen über eigens entwickelte Extensions abbilden. Dabei wird man im Backend vom Extensionbuilder (früher Kickstarter) unterstützt, der einem einiges, wenn auch nicht alles, an Arbeit abnimmt. Insbesondere diese Extensionbuilder ist besser geworden. Beim Rest von TYPO3 bin ich mir da aber nicht mehr so sicher.

gounder / Pixabay

Selbst wenn man 90 Prozent der Projekte mit TYPO3 umsetzt, kratzt man oft nur an der Oberfläche der Möglichkeiten. Kundenwünsche sind in der Mehrzahl einfach viel banaler als das, was alles gehen würde. Bei der neuen 7er Version von TYPO3 beschleicht zumindest mich, ganz persönlich, ein merkwürdiges Gefühl. Etwas mehr Farbe im Backend, weniger Stabilität und ein enormer Overhead, wenn man nur ein paar einfach Inhaltsseiten gestalten möchte. Dazu eine Dokumentation, die aus meiner Sicht diesen Namen nicht verdient. Vielleicht hilft sie Core-Entwicklern weiter, aber der größere Teil der „Brot und Butter“-Entwickler schaut in die Röhre.

Als langjähriger Blogger auf der Basis von WordPress verfolge ich die Entwicklung des Systems selbstverständlich mit. Als langjähriger Nutzer fällt mir, gerade in Abgrenzung zu TYPO3, vor allem eins auf: ein Update von WordPress war nie, wirklich nie ein Problem. Es gibt keine Long Time Support Versionen von WordPress, weil es nicht notwenig ist.

WordPress hat einen weltweiten Marktanteil von 25 Prozent. Davor sollte man nicht die Augen verschließen, insbesondere wenn man in einer Internetagentur arbeitet. Zwei Ereignisse aus den letzten Tagen gaben mir ordentlich etwas zu denken. Zum einen die Art und Weise, wie einer meiner Kollegen beschimpft wurde. Er hatte es gewagt, sich via Twitter über die Updateproblematik von TYPO3 zu äußern — hier gibt es nachweislich Probleme mit manuell installierten Versionen von Fluid und Extbase.

Der zweite Denkanstoß kam über eine befreundete Agentur. Dort wechselt man derzeit von TYPO3 auf WordPress. Das ist keine Schande, sondern konsequent. Ich finde es auch nicht verwerflich, in Kundenprojekten fertige Themes einzusetzen, die dann lediglich über Child-Themes angepasst werden. Man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden. Den Preisvorteil kann man im Übrigen an den Kunden weitergeben, so dass beide Seiten davon profitieren.

TYPO3 erinnert ich an ein Euro-Game. Unübersichtliche Regeln, kompliziert, eigentlich nur für Liebhaber des Genres. WordPress hat hier einfach den Vorteil, dass das System sich selber treu geblieben ist und über ein verdammt gute, verständliche Dokumentation (Codex) verfügt.

Das wirklich größte Problem von TYPO3 ist, hier auch wieder meine persönliche Meinung, etwas zu sein, was es nicht sein kann. Mit riesigem Aufwand werden moderne Paradigmen der Programmierung in das System gebastelt, ohne den Sinn zu hinterfragen. Für nicht steht fest, dass hier PHP als Basis von TYPO3 einfach an Grenzen stößt. PHP ist eben nicht Ruby on Rails oder Python. Wer selber schon mal etwas in Python programmiert hat, kann nur schmunzeln über den Aufwand, welcher für das gleiche Ergebnis in PHP getrieben werden müsste.

WordPress basiert zwar ebenfalls auf PHP, aber hier wird auch nicht versucht, aus dem System etwas zu machen was es eigentlich nicht sein kann. Ein Fisch kann nicht fliegen, nur weil man ihm Flügel anklebt.

7 Kommentare

  1. Von welchen Paradigmen sprichst Du, wenn Du schreibst:

    Mit riesigem Aufwand werden moderne Paradigmen der Programmierung in das System gebastelt, ohne den Sinn zu hinterfragen. Für nicht steht fest, dass hier PHP als Basis von TYPO3 einfach an Grenzen stößt.

    Ich habe noch nie mit Typo3 zu tun gehabt, arbeite aber schon seit vielen Jahren mit WordPress.

    1. MVC, Domain Driven Design — zum Beispiel. Wenn ich über den Extensionbuilder eine simple eigene Extension in TYPO3 erstelle werden dafür rund 25 Dateien erstellt, den Dokumenten-Ordner nicht mit gezählt. Ohne den Extensionbuilder das Grundgerüst zu stricken, ist umständlich und langwierig. Das ist für mich ziemlicher Overhead.

    1. [lehrermodus]Das wieder die Sache mit dem wundervollen Satz „Lesen Sie sich den Text bitte genau durch.“. Natürlich gibt es fliegende Fisch. Aber man macht aus einem normalen Fisch keinen fliegenden Fisch, indem man ihm Flügel anklebt. Und genau das steht da oben ja auch: „Ein Fisch kann nicht fliegen, nur weil man ihm Flügel anklebt.“[/lehrermodus] ;-)

  2. Dann mach doch mal Butter bei die Fische und erläutere was genau was Du mit „Mit riesigem Aufwand werden moderne Paradigmen der Programmierung in das System gebastelt, ohne den Sinn zu hinterfragen.“ meinst.

  3. Ich frage mich nur, woher die Einstellung (nicht zwangsläufig Deine… sondern eher generell) kommt, dass es immer das eine Gott-System geben muss, welches die Lösung für alles ist.

    Das grenzt ja mittlerweile an Radikalisierung :)
    „[INSERT PRODUCT NAME HERE] ist das einzig wahre CMS“.

    Ich denke, man sollte im Interesse des Kunden handeln – ich hatte in der Berufsschule noch Ethik… keine Ahnung, ob es solche Grundsätze noch gibt in der Digital-Welt.

    Der Kunde hat eine Herausforderung, die muss gelöst werden.
    Eine gute Agentur berät den Kunden so, dass diese Herausforderung zukunftssicher und nachhaltig gelöst wird – End of story.

    Ob da jetzt WordPress oder TYPO3 oder OpenText die Lösung ist, muss an zweiter Stelle stehen.
    Wordpress löst die Probleme Deiner Kunden?
    Ist doch super, damit ist die Beratungsleistung an deinem Kunden doch dann richtig.

    Auf das Thema mit „Grenzen von PHP“ gehe ich nur mit einem Wort ein: PHP7.

    Was ich noch nicht ganz verstanden habe:
    Wer genau sagt, dass man Extensions mit Extbase machen muss?
    Möglicherweise fehlt euch hier einfach nur Information.

    Cheers
    Mathias

    P.S. ich unterschreibe, dass WP keine Schande ist – ob man deswegen jetzt TYPO3 unreflektiert dissen muss, lass ich mal dahin gestellt.

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