Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Wenn man etwas älter geworden ist und ein gewisser Reifungsprozess nicht spurlos an einem vorbeiging, hat man einiges über Recht gelernt. Manchmal kann man im Recht sein, trotzdem jedoch keins bekommen. Und es gibt auch die Momente, wo man aus Gründen des Anstands auf dir Durchsetzung seines Rechts verzichtet — zum Beispiel dann, wenn man damit das gemeinschaftliche Zusammenleben gefährdet.

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Lebt man mit mehr als einer Partei unter dem selben Dach, lernt man wie wichtig ist, wenn beide Seite bei Auseinandersetzungen aufeinander zugehen. Kurz nach Ostern saßen meiner Frau und ich mit Nachbarn am runden Tisch (ja, der ist bei uns im Wohnzimmer wirklich rund) um ein paar Dinge zu klären. Es ist nie einfach Dinge auszuhandeln, aber wohl oft der beste Weg, Konflikte zu lösen.

Leider gibt es auch Gegenbeispiel hier aus der Siedlung, wo ein Streit um das Fußballspielen bis vor Gericht eskaliert ist. Der Kläger weiss sich im Recht und ist es auch. Besser wird die Sache dadurch jedoch nicht.

Genug der Vorrede, Stammleser wissen vermutlich längst, worauf es heute hinauslaufen wird — besonders wenn man ein Ohr an den aktuellen Pressemitteilungen hat. Natürlich rege ich mich schon wieder über den angekündigten Streik der GDL auf, welcher diesmal sechs Tage lang dauern soll.

Noch mehr ärgert mich jedoch, mit welcher Selbstverständlichkeit man in den Arbeitgeber-Fanclub-Topf geworfen wird, wenn man es wagt, die GDL zu kritisieren. Nur weil einem das Verhalten der GDL nicht gefällt, ist man nicht automatisch ein Gegner von Arbeitnehmerrechten. Es mag auch sein, dass die Bahn momentan auf Zeit spielt und wartet, bis das Tarifeinheitsgesetz vom Bundestag beschlossen wurde. Über zu wenig Personal, zu viele Überstunden und gerechte Bezahlung muss an dieser Stelle gar nicht erst diskutiert werden — für mich ist so was selbstverständlich.

Wer sich jedoch wie Claus Weselsky, Chef der GDL, immer wieder allen Vorschlägen wie zuletzt eine Schlichtung ablehnt, hat in meinen Augen längst jedes Maß verloren. Sicher, es ist das gute Recht der GDL zu streiken. Und möglicherweise, nein, eher ganz sicher, ist sie auch im Recht. Aber mit dem Recht ist das eben so eine Sache, wie ich einleitend versucht habe zu skizzieren.

Der erneute Streik der GDL geht zu Lasten vieler Arbeitnehmer. Fahrgemeinschaften und Fernbusse sind meiner Meinung nach keine wirkliche Alternative. Sie sind mehr Feigenblatt der bedingungslosen Streikbefürworter.

Wenn man sich wirklich auf den Standpunkt stellt, dass jeder, der schlecht bezahlt wird, auch streiken darf für bessere Entlohnung und Arbeitsbedingungen, egal welche Konsequenzen das für den Rest der Gesellschaft hat, sollte genau überlegen, bevor jetzt voreilig „Ja!“ ruft.

Meiner Meinung nach gibt es nämlich noch ganz andere Berufsgruppen, die wesentlich schlechter bezahlt werden und eine mindestens genauso verantwortungsvolle Tätigkeit nachgehen wie Lokführer (oder Zugbegleiter). Ich denke da zum Beispiel an Krankenschwestern und Altenpfleger.

Sechs Tage GDL-Streik muss man hinnehmen, wenn man für Arbeitnehmerechte ist. Schließlich gibt es genug Alternativen, ans Ziel zu kommen, die sind halt nicht ganz so bequem. Gut, dann lassen wir auch in diesem Sinne man die Krankenschwestern und Altenpfleger streiken. Man kann doch durchaus einer Familie mal zumuten, ein Bettchen für ihren demenzkranken Opa zu Hause aufzustellen. Wer länger im Krankenhaus liegt, simuliert doch nur und kann ehedem entlassen werden. Sechs Tage ohne medizinische Pflegepersonal, schaffen wir doch locker.

Ach, dass ist jetzt „systemrelevant“, weil es um Menschenleben geht? Als doch kein bedingungsloses Streikrecht? Ja, man legt sich das gerne so, wie man es will — nur menschlich so was. Klar, mein Beispiel ist zynisch und überzogen. Dennoch: es gibt genügend andere Berufe, wo es ziemlich schnell viel kritischer wird, wenn dort gestreikt würde. Gegenbeispiel gibt es natürlich auch. Von einem Dackdeckerstreik werden wohl nur ganz wenige Menschen betroffen sein.

Anstand bedingt, sich darüber klar zu werden, welche Folgen das eigene Handeln für andere hat. Mit dem kategorischen Imperativ braucht man der GDL und Herrn Weselsky wohl eher nicht zu kommen.

2 Kommentare

  1. mir fällt bei dem Thema immer wieder das Stan Lee Zitat aus Spiderman ein With great power comes great responsibility

    Ansonsten gebe ich dir recht, sowohl was den Blickwinkel angeht als auch das recht aller Berufsgruppen. Gerade weil ich sehe für welches Geld meine Frau ihre 11 Stunden Nachtschichten im Krankenhaus schiebt wäre ich schon lange für eine Bezahlung nach sozialer/gemeinschaftlicher Relevanz.

  2. Was ich halt bedenklich finde ist Drumherum mit den geplanten Einheitsgewerkschaften, die CDU/CSU/SPD schnell durchdrücken wollen und die der Bahn die Gelegenheit geben so auf Zeit zu spielen. Nur in Japan wird noch weniger gestreikt wie bei uns, von daher sehe ich das gelassen, auch wenn es natürlich manche mehr als andere betrifft. An der ganzen Berichterstattung und Meinungsmachung gegen die GdL (in den Mainstreammedien) kann man aber gut erkennen, wie die Entsolidarisierung in Deutschland immer mehr um sich greift.

    Auf den Punkt hat es der Postillon gestern: http://www.der-postillon.com/2015/05/nepal-schickt-500-not-lokfuhrer-nach.html

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