Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Bereits vor meinem Lehramtsstudium war mir klar, wie und vor allem das lesen uns verändert. Am Ende eines Buches ist man vielleicht nicht unbedingt sofort ein anderer Mensch, aber etwas bleibt immer hängen. An der Universät Kassel hat man im Frühjahr ein Forschungsprojekt dazu gestartet, welches sich mit den Auswirkungen von Lektüre auf unser Verhalten beschäftigt. Bei Kindern ist der Erwerb der Lesefähigkeit ein enormer Schritt. Durch lesen und schreiben erkennen sie unter anderem, dass das, was man schreibt, nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muss — daraus ziehen auch Rückschlüsse auf das, was sie im Fernsehen sehen.

An mir selber stelle ich, völlig unwissenschaftlich, fest wie mich das Lesen bestimmter Bücher und auch Zeitungen verändert hat. Jahrelanger Konsum der Süddeutsche Zeitung hat mich geprägt, ohne Zweifel. Lesen prägt jedoch nicht nur unser Denken, sondern auch die Art, wie wir schreiben. Es hat Einfluss auf unsere Ausdrucksfähigkeit, unseren Wortschatz. Zu meinem Erstaunen wirkt es sich auch darauf aus, welche Erzählperspektiven wir beim schreiben verwenden.

Derzeit bin ich dabei, von meinem ersten Eifel-Krimi die bisher geschriebenen Kapitel zu lesen. Nach wie vor kämpfe ich mit der Perspektiven im Plot. Ich weiß, ich müsste mich pro Szene auf eine Person konzentrieren, wenn ich mit der personalen Erzählperspektive arbeite. Mir kommt diese aber immer mehr wie eine Beschränkung vor. So gibt es Beschreibungen, die ich eben nicht an eine Person binden kann — auch weil es mir als nicht sinnvoll erscheint. Nehmen wir zum Beispiel die ersten Sätze vom „Eifelclub“:

Es war der Beginn der Ferien eines viel zu kurzen Sommers. Eines Sommers, der dennoch alles verändern sollte. Der Übergang von einer unbeschwerten Jugend in Kall zur Welt der Erwachsenen, mit samt ihren Abgründen, dunklen Geheimnissen und ihrer kalten Brutalität.

Über die Qualität lässt sich sicher streiten, aber darum geht es mir hier nicht. Gestern Abend ist mir endlich, nach mehreren Wochen, klar geworden, worauf große Teile meines Stils basieren. Auch wenn ich ihm kaum das Wasser reichen kann, so hat mich John Irving deutlich geprägt. Ein Blick in „Letzte Nacht in Twisted River“ und auf die ersten Sätze:

Der junge Kanadier – er war höchstens fünfzehn – hatte zu lange gewartet. Einen endlosen Augenblick lang standen seine Füße still auf den Stämmen, die im Becken oberhalb der Flussbiegung trieben; dann war er ausgerutscht und im Wasser verschwunden, ehe jemand seine ausgestreckte Hand packen konnte. Einer der Flößer hatte noch versucht, nach den langen Haaren des Jungen zu greifen; immer wieder patschte die Hand des Mannes in das eiskalte Wasser, das von all den abgeriebenen Rindenstücken zähflüssig, fast suppig war.
aus ‚Letzte Nacht in Twisted River‘ von John Irving

Zumindest ich sehe hier keine personalen Erzählperspektive. Es ist, so meine ich, die neutrale Erzählperspektive (vielleicht sogar fast schon die auktoriale Perspektive). Die Perspektive, die Irving verwendet, gefällt mir — nicht ohne Grund habe ich alle seine Bücher gelesen. Und das hinterlässt, wie bereits festgestellt, Spuren.

Für mich ist dieser Umstand derzeit ein Problem beim schreiben von Krimis. Hier rächte sich auch, dass ich erst vor vier Jahren angefangen habe, selber Krimis zu lesen. Soweit ich es bisher beurteilen kann, überwiegt in Krimis die personale Erzählperspektive. Schreibt man für ein bestimmtes Genre, muss man sich wohl an die Spielregeln halten — oder aber man findet Beispiele, wo es anders gelöst ist.

2 Kommentare

  1. Letzter Abschnitt: Man kann sich natürlich dem Mainstream beugen und alles so machen, wie es hundert Autoren vor einem getan haben, oder man sucht sich tatsächlich einen eigenen Stil – der natürlich durch andere Autoren geprägt ist. Da möchte ich noch erwähnen, dass du nicht nur von Irving selbst geprägt bist, sondern auch vom Stil seines Übersetzers, denn auch die bringen einiges in die Übersetzung mit ein.

    1. Stil und Mainstream, das ist so eine Sache. Letztendlich möchte man als Autor sowohl gelesen werden als auch Bücher verkaufen. Man schreibt also für die Leser.

      Der Hinweis bezüglich des Übersetzers ist richtig, daran hatte ich nicht gedacht.

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