Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Mittlerweile pendle ich bereits beruflich seit über 10 Jahren. Die Arbeitgeber haben in der Zeit gewechselt, einen größeren Umzug habe ich auch hinter mir, aber in Bezug auf die Fahrt zu Arbeit hat sich das Grundsätzliche nicht verändert. Zur Zeit sind es 80 Kilometer, einfach Fahrt, die ich an vier Tagen die Woche zweimal bewältige. Unterwegs bin ich dabei auf dem längsten Teil der Strecke mit dem ICE und kann Dank bahn.card 100 in Köln und Essen den ÖPNV kostenlos nutzen.

Es ist nicht so, dass ich mir schon währende der Schulzeit nichts sehnlicher gewünscht habe, als jeden Tag so lange unterwegs zu sein, nur um zum Arbeitsplatz und wieder nach Hause zu kommen. Häufiger kommt es, gerade in den letzten Monaten, vor, dass ich mir einen Arbeitsplatz näher an der siegen Haustür wünsche. Aber, wie der Kölner sagt, es ist wie es ist. Und nur weil man in der selben Stadt wohnt, in der man auch arbeitet, bedeutet das nicht immer das man auch wesentlich schneller im Büro ist.

Oft erlebt man sehr kuriose Reaktionen von anderen Menschen, wenn man ihnen erzählt, man würde täglich von Köln nach Essen pendeln. Für viele ist so was einfach nicht vorstellbar. Dabei kann man allein in Berlin so ungünstig wohnen und arbeiten, dass man in der selben Stadt locker über 30 Minuten unterwegs ist, um von einem Ende zum anderen zu gelangen.

Du fährst mit der Bahn? Was machst du denn dann die ganze Zeit?

Von Tür zu Tür bin ich, wenn alles gut läuft, 80 Minuten unterwegs. Bei Gesprächen passiert es häufiger, dass man wie ein exotisches Tier angesehen wird. Dabei bin ich kein Einzelfall, im Gegenteil. Die Züge sind voll von Pendlern, man ist somit in guter Gesellschaft. Mit meiner Strecke bin ich eigentlich noch ganz gut dabei. Es gibt Menschen, die täglich von Frankfurt nach Düsseldorf fahren oder von Hannover nach Essen.

Meinen persönlichen Beobachtungen zu Folge werden es, über die Jahre betrachtet, auch immer mehr Pendler. Von Arbeitnehmern wird Mobilität erwartet. Und die hat ihren Preis. Unter der Woche sind für mich Freizeitveranstaltungen eigentlich kaum möglich oder aber bedürfen penibelster Planung. Es bleibt auch immer das Restrisiko, auf der Strecke zu bleiben, weil irgendwas mit der Bahn ist — Person im Gleis, witterungsbedingte Störungen und ähnliches. Irgendwas ist immer und man fährt besser, so was direkt mit einzuplanen.

Aus Filmen kennt man den Spruch „Niemand wird zurückgelassen“ — um verwundete Kameraden wird sich gekümmert, man sitzt im gleichen Boot, bildet eine Schicksalsgemeinschaft. Wer glaubt, so was würde auch unter Pendlern gelten, hängt einer romantischen Illusion an. Tatsächlich ist jeder in erster Linie sich selbst der Nächste. Das gilt sowohl beim Einsteigen und dem damit verbunden Kampf um einen freien Sitzplatz als auch bei der sich daran anschließenden Verteidigungen seines Reviers mit Taschen. Viel mögen es, wenn der freie Platz neben ihnen auch wirklich frei bleib. Ob dabei andere stehen müssen, spielt keine Rolle.

Das andere im Zug mitfahren, vielleicht auch ihre Ruhe haben wollen nach einem anstrebenden Tag, ist selten relevant. Ansonsten würden sich nicht so viele Mitreisende im Zug laut unterhalten oder noch lauter telefonieren. Rücksicht ist etwas, was man als Reisender im Zug nicht erwarten darf. Aus diesem Grund sollte man auch, sofern man am Gang sitzt, gut auf seine Körperteile aufpassen. Rabiate Zeitgenossen fahren nicht nur über Füße mit ihrem Rollkoffer, sondern ignorieren auch Ellbogen und anderes.

In seltenen Momenten triff man Leidensgenossen, mit denen man ins Gespräch kommt. Die genauso genervt sind wie man selber. Die sich ebenfalls damit abgefunden haben, Pendler zu sein. Gemeinsam stellt man dann fest, welche Vorteile es haben kann, nicht direkt Tür an Tür mit der Arbeit zu wohnen. Man bringt Abstand zwischen sich und seinem Beruf, bekommt (in meinem Fall) pro Monat einiges gelesen oder aber lernt neue Menschen kennen.

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