Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Bereits im letzten Jahr wurde Gravis durch den Mobilfunkanbieter Freenet übernommen. Zunächst sah es so aus, als ob sich dadurch nichts ändert. Abgesehen vielleicht von einer Erweiterung des Angebotes. Man verkaufte in den Gravis-Läden nicht mehr Apple-Produkte und Zubehör, sondern auch die Kindle-Produktreihe von Amazon.

Für die Zukunft ist jedoch Größeres geplant. Wenn weitere die Geräte weiterer Elektronik-Hersteller wie zum Beispiel Sony ins Portfolio aufgenommen werden, wird Apple zwar kein Nischensegment werden, aber einen anderen Stellenwert bekommen. Ob die Strategie des neuen Eigentümers allerdings aufgehen wird, erscheint fraglich. Einen Elektronik-Mischmasch gibt es bereits auch von anderen Filialisten. Gravis würde daher ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal verlieren.

Bereits jetzt stehen potentielle Käufer vor der Entscheidung, ob sie ihr neues Gerät irgendwo oder direkt in einem der Stores von Apple selber kaufen. Der Vorteil dort liegt in der besseren Präsentation der Hardware, den flexibleren Zahlungsoptionen und vor allem in der erheblich bessern Beratung. Insbesondere die ist nach wie vor die Achillesferse von Gravis.

Die Entwicklung von Gravis verfolge ich für meinen Teil seit Mitte der 90er Jahre. Meinen ersten Apple-Computer erwarb ich bei Gravis, so wie Nachfolger und auch weiteres Equipment. Das waren nicht nur iPod’s oder andere Geräte von Apple, sondern auch Monitore und Drucker (die dann allerdings nicht von Apple).

In Bielefeld hatte Gravis lange Zeit an der Kreuzstraße 1 einen Laden, dem es erheblich an Charme mangelte. Wenig Platz, Geräte nicht zum anfassen und ausprobieren, eine lange Theke zwischen Kunden und Verkäufer als Barriere. Dahinter dann Regale mit Ware. Erst durch den Umzug ins Wellehaus änderte sich das Bild vollständig. Ein großer offener Verkaufsraum, die Produkte wurden angemessen präsentiert und konnten auch ausprobiert werden. Gleichzeitig wurde der Eindruck einer kompetenten Beratung erweckt.

Wie es tatsächlich um die Fachkompetenz bei Gravis tatsächlich bestellt war, wussten die meisten Kunden nicht. Über die Hälfte des Personals bestand aus Aushilfen. Am besten war man damit beraten, wenn man genau wusste, was man wollte – oder jemand kannte, der im Laden arbeitet.

In zwei Dingen hatte Gravis damals eindeutig die Nase vorn. Flexible Finanzierungsmöglichkeiten und die zweijährige Gravis-Garantie (GSPP), eine Versicherungsleistung, die man zusätzlich erwerben konnte. Die galt zwar, im Gegensatz zur Apple Care, nur in Deutschland, ging aber über die Leistung des Herstellers hinaus. Gerade bei meinem Ärger mit dem Mac Book Pro 15″ erwies sich die Garantie von Gravis als echte Hilfe.

In Köln kauften wir auch noch mehrere Apple-Geräte und Zubehör, wobei das durch den Apple Store im Rheincenter bereits deutlich nachließ. Der einzige Grund, um bei Gravis in Köln einzukaufen, war nur die Bequemlichkeit. Wenn man schon mal in der Innenstadt ist, fährt man nicht raus auf die grüne Wiese, nur weil man ein Kabel oder ein Smartcover benötigt. Besser wäre es aber gewesen, wie sich heute wieder gezeigt hat.

Eigentlich wollte ich für mein iPad Mini nur ein Smartcover und eine Schutzhülle für die Rückseite. Also nicht wirklich herausforderndes. Weil ich mir das Suchen ersparen wollte, fragte ich einen der Verkäufer. Hilfsbereit suchte er mir die Sachen heraus, drückte mir diese in die Hand und schickte mich zur Kasse.

Zuhause stellte sich erst eine leichte Irritation, dann handfester Ärger ein. Die Schutzhülle war auch auf der linken Seite durchgehend. Damit ist sie für das Smartcover ungeeignet. Nächste Woche habe ich daher das Vergnügen, diese wieder zurück zu geben. Aus meiner Sicht hätte sich das vermeiden lassen, wenn der Verkäufer für einen Moment nachgedacht hätte und die Produkte, die er Kunden anbietet, auch kennt. Wenn ich zwei Artikel für dasselbe Gerät kaufe, ist die Wahrscheinlichkeit extrem hoch, dass ich auch beabsichtige beide zu verwenden. Bei Schutzhüllen und Cover sogar gleichzeitig. Meiner Meinung nach hätte er es besser wissen müssen. Ich wusste es nicht. Dumm gelaufen. Aber es ist leider für mich keine untypische Erfahrung.

Kommen wir wieder zurück zum Anfang. Verbreitert sich das Portfolio von Gravis, werden die Verkäufer über noch mehr Produkte noch weniger wissen. Als Kunde kann ich dann auch gleich zu einem der großen Elektronikmärkte gehen oder online bestellen. Auch wenn es eine gewagte Prognose ist, gehe ich von einem Verschwinden der Gravis-Läden innerhalb der nächsten fünf Jahre aus. Der Imagewandel von Gravis mit dem neuen Logo und der grünen Corporate identity vor ein paar Jahren hätte ein Kurswechsel sein können. Grüner, beziehungsweise besser, wird es aber wohl nicht mehr werden.

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