Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Vor ein paar Wochen hat mich meine Tante an ein Buch erinnert, welches ich noch nicht gelesen hatte und sie gerade dabei war zu lesen – „Wir sind doch Schwestern“ von Anne Gesthuysen. Ein Roman der ein Jahrhundert am Niederrhein umschließt, die Geschehnisse der großen Welt auf kleinem Raum in den Biographien drei Schwestern widerspiegelt.

Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt. Anlass des Zusammentreffens der drei Schwestern ist der hundertste Geburtstag der ältesten Schwester Gertrud, welcher gebührende gefeiert werden soll. Die Organisation der Feierlichkeiten hat die jüngste der Drei, Katty in die Hand genommen. Schnell bekommt man mit, dass sich zwischen den Schwestern einiges angesammelt hat, was bisher unausgesprochen blieb. Der Tellemannshof, auf dem Katty lebt, weckt bei ihrer ältesten Schwester Erinnerung, die weit zurück in der Familiengeschichte liegen und Anlass eines ständigen Streites zwischen Katty und Gertrud. Dazwischen Paula, die immer wieder um Vermittlung bemüht ist und versucht, mit ihrem Humor die Stimmung aufzuheitern, obwohl sie selbst genügen Grund hatte, am Leben zu zerbrechen.

In den einzelnen Kapiteln kommen nicht nur die drei Schwestern jede für sich zu Worte man erlebt ihre Sicht auf die Ereignisse in der Vergangenheit. Man erfährt von dem Verlobten Gertruds, der von seinem Bruder als abkömmlich auf dem Hof in den ersten Weltkrieg geschickt wurde und diesen nicht überlebte. Dieser Bruder ist ausgerechnet jener von Katty vergötterte Heinrich Hegemann, auf dessen Hof Katty unentbehrlich wurde. Auch wenn Paula zwischen den beiden starken Figuren Katty und Gertrud etwas blass bleibt, ist ihre Lebensgeschichte nicht weniger erschütternd. Ein Mann, der nach dem zweiten Weltkrieg seine Homosexualität entdeckt und daran zu zerbrechen droht. Seine Frau, die sich von ihm schieden lässt, um das Gesicht der Familie zu waren, aber trotzdem noch zu ihm steht.

Zwischen all dem vieles, was den Niederrhein ausmacht. Wobei es etwas zu viel des Guten ist, dass Anne Gesthuysen diese jedes Mal besonders betont.

[…] saßen bereits an einer üppigen niederrheinischen Kaffeetafel.
Bei Geburtstagen wurde der Kranz über der niederrheinischen Haustür üblicherweise von einer Zahl gekrönt[…]
Wer singt, der betet doppelt, hieß es am Niederrhein, […]

Die Eigenheit kann man ausführen, muss es aber nicht auch nicht fett als niederrheinisch unterstreichen. Manche Dinge sind zudem auch anderswo üblich – habe ich mir sagen lassen, denn ich kenne sie als gebürtiger Niederrheiner aus meiner Heimat.

Das Buch zeichnet sich durch einen sehr ruhigen Ton aus, durch eine trotz dramatischer Ereignisse wohltuenden Unaufgeregtheit. Man liesst, sieht die Figuren nicht als solche, sondern als Personen aus Fleisch und Blut vor sich. Was insofern auch nicht verkehrt ist, da Anne Gesthuysen betont, weite Teile ihres Romans würden auf wahren Begebenheiten in ihrer Familie beruhen.

Besonders aufgefallen ist mir die Sprache, welche die Autorin für ihr Buch verwendet. Auf den Punkt gebracht ließe sich sagen, die Sprache stünde der Handlung nicht im Weg. Die Bilder muss der Leser selber im Kopf erzeugen. Wer den Niederrhein nicht kennt, dürfte es damit etwas schwerer haben. Ohne den lokalen Bezug bleibt es eine Geschichte, die so überall spielen könnte.

Ein Punkt noch am Schluss, der mir durch den Kopf geht. Die Frage, ob „Wir sind doch Schwestern“ ein typisches Frauenbuch sei. Das zu beantworten fällt schwer. Sicher, drei Frauen spielen die Hauptrolle, aber deshalb ist das Buch nicht auf ein bestimmtes Lesepublikum beschränkt. Die Lebensentwürfe der drei Schwestern in der Handlung zu entdeckt, ist auch für den männlichen Leser spannend genug, um das Buch in einem Rutsch bis zum Ende durch zu lesen.

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