Von allen guten und bösen Geistern verlassen

„Neunzig Prozent aller ungelesenen Texte haben einen schlechten Anfang.“ Wer keine Leser möchte, beginnt am besten mit einer langweiligen Einleitung. Autoren haben die Verpflichtung, ihre Leser da abzuholen, wo sie sind. Zumindest dann, wenn sie gelesen werden wollen.

Der oft zitierte Narrative Haken, mit dem man als Autor versucht, den Leser zu ködern, gilt nicht nur für narrative Texte, sondern auch für Sachtexte. Aufmerksamkeit ist ein kostbares Gut. Insbesondere im Internet wird Zeit zu einer wertvollen Resource. Die Bereitschaft, einen Texte zu lesen, steht und fällt mit der Einleitung. Ausnahmen gibt es nur dann, wenn das Thema wichtiger für den Leser ist als eine Einleitung, die nicht langweilt.

Im Regelfall lesen wird die Überschrift und die ersten Zeilen. Vom Wichtigen zum Unwichtigen, Schlagzeilen – Wissen aus dem Tagesgeschäft einer Zeitung kann für Autoren, insbesondere auch Blogautoren hilfreich sein, reicht aber nicht aus. In einem Sachtext stehen wie im Roman oder einer Kurzgeschichte am Schluss keine unwichtigen oder überflüssigen Information. Im Gegenteil, gerade in den letzten Sätzen kann das ganze Gewicht des Textes liegen. Das ändert allerdings nicht die Bedeutung der Einleitung bzw. der ersten Sätze, mit denen der Text anfängt.

Der Autor macht dem Leser ein Versprechen, welches er einhalten sollte. Eine am Anfang aufgebaut Spannung darf nicht im Sande verlaufen. Bei einem Sachtext wird eine Frage oder These in den Raum geworfen, die den Leser dazu verführt, sich mit dem Text auseinander zu setzen – ihn neugierig macht.

Diese Neugier lässt sich auch in mündlichen Vorträgen wecken, bei denen man statt mit der eigenen Vorstellung anzufangen eine provokantes Zitat voranstellt.

In Deutschland sind 85 Prozent aller Weblogs nahezu unsichtbar. Bei mir lernen sie, wie sie zu den 15 Prozent gehören.

„Du sollst nicht langweilen“ – Was René Borbonus für Präsentation empfiehlt, gilt gleichermaßen auch für die Schriftliche Kommunikation. Über seinen Text kommuniziert der Autor mit dem Leser, unabhängig davon, um welche Textform es sich dabei handelt. Selbst Tagebucheinträge dienen der Kommunikation – mit einem späteren Selbst.

Der Autor klingelt in der Regel nicht bei seinen Lesern um nachzufragen, wie ihnen sein Text gefallen hat. Die Rückmeldung stellt sich auf andere Art ein oder auch nicht. Leserzahlen sind ein Kriterium. Leser, die einen zweiten Text des gleichen Autors lesen oder ein zweites Buch von ihm kaufen, sind entweder sehr optimistisch oder haben gute Erfahrungen gemacht.

Bei zehn Prozent der ungelesenen Text (oder Bücher) mangelt es im Übrigen an Zeit oder Gelegenheit, sich mit ihnen auseinander zu setzen.

Eine Antwort

  1. Ich habe damals ein wichtiges Stilmittel von meinem Deutschlehrer gelernt: in medias res
    in mitten der dinge (frei übersetzt), was soviel heisst, wie mitten ins Geschehen einer Geschichte einsteigen, wenn man die ersten Zeilen liest. Das ist immer noch etwas, was bei mir funktioniert, ich lese zumindest solange weiter, bis sich diese erste Situation aufgelöst hat..
    lg Jutta

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