Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Vergangene Tage ist Günter Wallraff 70 Jahre alt geworden. Das ist nicht nur ein beachtliches Alter, sondern umso erstaunlicher, mit welchem (auch körperlichen) Einsatz Wallraff nach wir vor seiner Berufung nachgeht.

Anlässlich seines Geburtstages fand gestern im Rahmen der lit.cologne spezial eine Veranstaltung mit ihm im WDR-Funkhaus in Köln statt. Die Gelegenheit, den Menschen Wallraff live zu erleben. Moderiert wurde die Veranstaltung von Sonia Seymour Mikich (die derzeit auch verantwortlich für die Sendung MONITOR ist), einzelne Passagen las von Murali Perumal vor, unter anderem einen Text aus „Ganz unten“. Die Veranstaltung war zwar gut besucht, dennoch blieben nicht wenige Stühle frei. Angesicht dessen, worüber Wallraff schreibt, schwer verständlich, denn die Themen gehen uns alle an.

Im Sommer gab es gegen Wallraff massive Vorwürfe, die sich mehr oder minder als haltlos herausstellten. Das damals auch die Süddeutsche Zeitung gegen den Journalisten zum Kreuzzug blies, hat mich als langjähriger Leser dieser Zeitung ziemlich enttäuscht. Wie dem auch sei, gestern wurde der Fall noch mal thematisiert. Wallraff ging dabei im Detail auf die Vorwürfe ein und vermittelte glaubwürdig seine Sicht der Dinge. Das jemand, der sich so vehement für andere Menschen und die Demokratie auch ohne Rücksicht auf seine eigene Gesundheit und sein Leben einsetzt, ein Sozialbetrüger sein sollte, war kaum vorstellbar. Die Gehässigkeit, mit der die Diskussion geführt wurde, kann nur eine gezielte Hetzkampagne sein.

Mikich führte anhand verschiedener Stationen im Leben von Günter Wallraff durch den Abend. Von den Anfängen, wie Wallraff als Wehrdienstverweigerer bei der Bundesweh war, über die wohl berühmtesten Reportagen als „Ali“ und „Hans Esser“ bei der Bild. Für mich das Beeindruckendste war sein Einsatz in Griechenland. Er kettete sich während der griechischen Militärdiktatur an einen Laternenpfahl am Syntagma-Platz in Athen, wurde verhaftet, gefoltert. Mir wurde bei seiner Erzählung von dem, was ihm damals widerfahren ist, noch mal besonders deutlich, warum Griechenland in der Europäischen Union bleiben muss. Wer anderer Ansicht ist, muss sich den Vorwurf der Geschichtsvergessenheit gefallen lassen.

Aktuell beschäftigt sich Wallraff noch immer mit den Zuständen bei deutschen Paketdiensten, die mehr als nur katastrophal sind. Er berichtet auch von einem Vorfall vor wenigen Tagen, wo wieder ein Fahrer in Folge seines Sekundenschlafes am Steuer tödlich verunglückte. Schichten von über 14 Stunden sind genauso wenig wie das Gewicht von über 1 Tonne Pakete pro Tag, welches ein einzelner Fahrer zu bewältigen hat, keine Seltenheit. Auch das Thema Obdachlosigkeit treibt Wallraff weiterhin um. Dort bereitet er gerade wieder etwas vor.

Menschen wie Günter Wallraff braucht unser Land, unsere Demokratie dringender denn je. Ihre Art des Journalismus ist zwar umstritten, aber notwendiger denn je, um Missstände in unserer Gesellschaft aufzudecken.

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