Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Als Bahnfahrer ist man einiges gewohnt. Was die meisten aber gelernt haben zu verdängen: die Angst fährt immer mit. Bewusst geworden ist mir das heute auf der Rückfahrt. Auf der anderen Seite des Gangs saß eine junge Frau aus Russland am Fenster.

Die Frage, woher ich das wusste, ist durchaus berechtigt, denn sie war weder blondier, grell geschminkt noch hatte sie lackierte Fingernägel (zugegeben, dass sind alles Vorurteile, aber genau darum geht es hier auch). Als ich in den Zug einstieg, telefonierte sie. Es war ein etwas längeres Gespräch, aber gut, ist nicht meine Mobilfunkrechnung. Unsympathisch war sie auch nicht (und es war auch kein Ruheabteil), so dass ich mich einfach mit meinem kram beschäftigt hatte. In Duisburg stieg dann ein Mann hinzu, der nicht nur einen großen Rucksack in die Ablage wuchtet, sondern auch – wie sag ich es jetzt politisch korrekt? Nun, er oder seine Vorfahren stammt wohl aus dem nahen Osten. Stört mich auch nicht, ehrlich. Kurze Zeit später fing er dann an, die junge Frau neben sich auf Englisch anzusprechen. Ich bekam wenig mit, da ich mich versuchte auf mein Buch zu konzentrieren. Was mich mitbekam, war seine Frage, wo sie denn aussteigen würde. In Düsseldorf, kam von ihr als Antwort. „You are lucky.“, sagte er darauf.

Ein harmloser Satz, eindeutig. Als sie dann aufgestanden war und in Düsseldorf den Zug verließ, wurde ich dennoch nervös. Der Mann hatte die Hände vor dem Bauch gefaltet und schaute die ganze Zeit nach oben, auf seinen Rucksack in der Ablage. Mit Sicherheit ist das alles Kopfkino, was sich bei mir daraufhin an Gedanken abspielte, aber die Angst, die hatte ich ganz real. Für einen Moment hatte ich auch überlegt, ob ich nicht einfach aussteigen sollte, um auf den nächsten Zug nach Köln zu warten.

Man kann darüber lachen, sicher.Aber auch jetzt noch, wo ich diese Zeile zu Hause schreibe, ist mir nicht danach zu mute. Das bisher noch nie passiert ist in deutschen Zügen, könnte man ebenfalls mit „you (we) are lucky“ kommentieren. Hoffen wir alle mal, dass das Glück nicht nachlässt. Noch lieber wäre mir aber, wenn wir uns nicht allein auf unser Glück verlassen müssten.

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