Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Freitags um halb sechs in Köln. Müde steige ich drei Stockwerke nach unten zum Briefkasten. Leer. Mit herunterhängenden Schultern geht es wieder zurück nach oben in die Wohnung. Beim Erreichen der letzte Stufe geht die Haustür auf.

Ein Klappe wird hochgeschoben, fällt wieder runter. Die Haustür schlägt wieder zu. Das war der Zeitungsbote. Also wieder drei Stockwerke nach unten, Briefkasten auf, Zeitung rausnehmen. Ein Geruch schlägt mir entgegen, mit dem ich seit meiner Kindheit vertraut bin. Ich halte mir die Zeitungen unter meine Nase. Druckfrisch. Man kann es riechen. Der Weg nach oben ist nicht mehr so beschwerlich, Vorfreude auf das Frühstück und mehr noch auf die Zeitungslektüre.

Was mir in Auge fällt, sind erstmal nicht die neusten Nachrichten, sondern der Hinweis, dass es jetzt auch das SZ-Magazin als iPad App gibt. Für 79 Cent je Ausgabe. So was hab ich nicht. Aber selbst wenn, würde mir nicht einleuchten, warum ich die App unbedingt bräuchte. Man versucht mich damit zu locken, dass es mehr Inhalt gibt, sogar vorgelesen bekäme man die Artikel. Nett. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Mir leuchtet das Geschäftsmodell der Verlage nicht ein. Was für das Magazin der Süddeutschen Zeitung gilt, trifft auch für die iPhone-Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers zu. Für ein bisschen Medienzauber obendrauf soll ich noch mal was bezahlen. Im Grunde genommen versucht man, mir den gleichen Inhalt zweimal zu verkaufen.

Das kann man toll finden. Oder einfach nur dumm-dreist. Ich liebe meine gedruckte Zeitung. Die kann ich auseinander pflücken, knicken, mit aufs Klo nehme – und falls dann mal das Toilettenpapier alle ist, bin ich froh, kein iPad zu haben.

Diese Woche konnte man viel darüber erfahren, was die Zeitungsverlage von der Tagesschau-App der ARD halten. Es sei eine Gefährdung ihrer Existenz, die App gehöre verboten – all solcher Unfug. Wenn ich selber Trends verschlafen habe und die neuen Medien nicht verstehe, sind andere genauso Schuld wie die Badehose, wenn ich ertrinke. Die App der ARD gefährdet kein Geschäftsmodell, ganz bestimmt nicht. Liebe Verlage, euer Geschäftsmodell gefährdet ihr selber.
Man muss gar nicht damit argumentieren, dass der RTL II Zuschauer weder die SZ liest noch eine Tagesschau-App installiert. Nein. Es reicht einfach aus, wenn man mal auf die hört, die euch jahrelang die Treue gehalten haben – so wie ich.

Seit über 20 Jahren bin ich Abonnent der Süddeutsche Zeitung. Habe die Preiserhöhungen mitgemacht, dass Kommen und Gehen des NRW-Teils miterlebt und vieles mehr. Jetzt wollt ihr mir wirklich die selben Inhalte zweimal verkaufen. Kundenservice. Habt ihr das schon mal gehört? Wie wäre es denn mal damit: ihr überlasst es mir, wie ich die von mir bezahlten Inhalte lese. Als Voll-Abonnent bekomme ich die Printausgabe und kann die selben Texte ohne weiter Kosten auch auf meinen iPhone oder im Büro auf meinem Rechner lesen. Das wäre doch mal Kundenservice. Und kommt mir nicht damit, dass ich böser Leser dann das Dokument mit anderen, die nicht für eure Inhalte bezahlt haben teile. Sonst nehme ich demnächst meine ausgelesen Zeitung, falte sie ordentlich und lasse sie im Zug liegen. Ach, dass machen schon andere.

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