Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Man hat es mitunter nicht leicht. Besonders dann, wenn man ein 768 Seiten dickes Hardcover-Buch tagelang mit sich rumschleppt und die Geschichte darin ein Abbild der eigenen Bemühungen ist.

Dabei ist der Stoff ans sich alles andere als langweilig. England zur Zeit Heinrichs des VIII., der sich mit aller Gewalt von seiner Frau Katherina trennen will, um die von ihm begehrte Anne Boleyn zu ehelichen. Daraus ergab sich die Abspaltung von der katholischen Kirche, die Reformation und die Bildung der Kirche von England. Aus der Tochter von Heinrich und Anne wurde später Elisabeth die I. – nicht zu vergessen sind wichtige historische Personen wie Thomas Thomas More, der Autor von „Utopia“ und Thomas Cromwell.
Letzteren machte Hillary Mantels im „Wölfe“ (engl. Originaltitel: Wolf Hall) zur Hauptfigur in ihrem Booker-Price-gekrönten Roman. Mein persönliches Faible für die Geschichte ist nachvollziehbar, wenn man von Heinrichs zweiter Frau einfach das n am Ende des Namens streicht. Nein im Ernst, natürlich habe bin ich auch nicht um Ecken mit Anne Boleyn verwandt. Der Ursprung meines Namens liegt zwar auch auf einer Insel, aber die heisst Irland. Der Name „Boley“ stammt aus dem Gälischen und hat eine ganz und gar bäuerliche Bedeutung.
Aber ich schweife ab. Das muss wohl auch am Einfluss des Buches liegen, durch dass ich mich schon seit fast einer Woche mehr oder minder quäle. Ich bin mir dabei nicht sicher, ob es allein an der Übersetzung liegt:

‚So now get up.‘
Felled, dazed, silent, he has fallen; knocked full length on the cobbles of the yard. His head turns sideways; his eyes are turned towards the gate, as if someone might arrive to help him out. One blow, properly placed, could kill him now.

‚Und jetzt steh auf.‘
Niedergestreckt, benommen, stumm; er ist gefallen, der Länge nach hingeschlagen auf die Kopfsteine des Hofes. Sein Kopf wendet sich zur Seite; seine Augen richten sich auf das Tor, als könnte jemand kommen, um ihm zu helfen. Ein einziger gut platzierter Schlag könnte ihn jetzt töten.

Es ist wohl eher so, dass der Schreibstil von Mantel dazu beiträgt, dass man recht schnell den Faden verliert. Sie schreibt, was ich etwas ungewöhnlich für diese Art von Roman finde, im Präsens. Dabei hat sie meistens Thomas Cromewell im Blick. Nicht immer jedoch ist klar, wer gerade zu wem etwas sagt. Bei einem Roman, dessen Schwerpunkt weniger auf Handlung denn auf Dialogen liegt, ist das nicht von Vorteil. Oft ertappt man sich dabei, wieder einige Seite zurück zu blättern, da man wieder den Faden verloren hat. Statt einer durchgehenden Handlung gibt es zwischen den einzelnen Kapiteln erhebliche Zeitsprünge. Wie Cromwell, den wir am Anfang als Jungen vor der Pubertät erleben, sein Leben in der Fremde verbracht hat, erfahren wir nur aus Rückblenden, mit denen Mantel bestimmte Eigenheiten von Cromwell zu erklären versucht.

Da mich die Geschichte der Tudors (nein, ich hab die Serie nicht gesehen) wie gesagt interessiert, bin ich mit der Materie schon etwas vertraut. Mich wundert daher unter anderem, wie Mantel Thomas More darstellt. Ihre More dürfte kaum der historischen Figur entsprechen. More wird als verschlagener Mann dargestellt, der es genießt, im Tower bei Folterungen anwesend zu sein. Auch die Figur der Anne Boleyn und des Lordkanzerls Thomas Wolsey dürften von den realen Personen abweichen. Unbestreitbar gibt es eine fiktionale Freiheit. Bei Mantel fragt man sich aber, ob sie diese nicht verwendet, um unter dem Deckmantel eines historischen Romans eine eigen Geschichtsinterpretation voranzutreiben.

Fazit: „Wölfe“ kann man lesen, muss man aber nicht. Wer sich an den Roman heranwagt, sollte sich auf jeden Fall seinen Jahresurlaub dafür reservieren, denn an einem Stück gelesen wirkt es konsistenter.

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