Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Wenn man mit dem Hauptplot in einer Sackgasse gelandet ist, nicht weiter kommt oder meint, dafür gerade keine Ideen mehr zu haben, bietet es sich an, einen Nebenschauplatz aufzumachen.

Dabei sollte man grundsätzlich keine Angst haben, sich zu verzetteln. Wichtig ist nur, dass man bei ein und der selben Geschichte beleibt, sie aber entweder aus einer anderen Perspektive erzählt oder aber eine neue Figur einführt und über deren Fortgang schreibt. Möglich ist auch, diese neue Figur zu nehmen und darüber nachzudenken, was sie als außenstehende Person von der Haupthandlung mitbekommt. Mitunter entstehen so nicht nur interessante Nebenhandlungen sondern sogar eine Lösung für das Problem, welches man mit der Haupthandlung hatte.

Bei der Geschichte, die im Bioladen spielen sollte, ist mir genau das passiert. Ohne das ich es zunächst bemerkt hatte, entstand eine ganz neue Geschichte, die besser war als die bisherigen Haupthandlung. Es kann aber auch der Fall eintreten, dass man eine Nebenhandlung entwickelt, welche nicht an die Stelle der Haupthandlung tritt, sondern zu einem späteren Zeitpunkt zu einer ganz eigen Geschichte verarbeitet wird.

Letzteres passiert gerade bei „Weinlese“. Da ich nicht an zwei Texten gleichzeitig korrigieren will (was immer sehr aufwendig ist, wenn ich auf mein vollgekritzeltes Manuskript schaue), schreibe ich an einer Nebenhandlung aus der Sicht von Udo Danneberg, eine völlig fiktiven Figur:

Udo Danneberg stand vor dem stand auf der anderen Straßenseite und wartet. Das etwas nicht stimmte, hatte er im Blut. Ohne seinen Instinkt wäre er nicht seit über 20 Jahren erfolgreicher Journalist gewesen. Gut, das der Begriff Journalist war etwas hochgegriffen, ebenso wie die Betonung, das er erfolgreich gewesen war. Danneberg schrieb für ein eher unbedeutendes Provinzblatt. Heute, ja heute, würde er seine große Story bekommen. Die würde ihn ganz groß rausbringen.
Er schaute wieder rüber zum Bahnhofsvorplatz. Unauffällig auffällig viele Polizisten, so was roch er kilometerweit gegen den Wind. Mit seiner Hand ließ er die letzten Gummibärchen im Mund verschwinden. Schon wieder eine Tüte leer. Gut, er hatte weder Glück noch Instinkt, dafür aber einen so wie es aussah brauchbaren Tipp bekommen. Aber nur deshalb, weil sein Ex-Schwager als Rangier am Bahnhof arbeitete. Dieser Schwager war der einzige in der Familie seiner Ex-Frau gewesen, mit dem er gut konnte. die Tüte war definitiv leer, keine Gummibärchen mehr. Danneberg seufzte. Wie lange der Einsatz wohl noch gehen würde? Auf jeden fall musste es bei dem ganzen Aufgebot eine größere Sache sein, denn für einen kleinen Fisch wären nicht über 50 Polizeibeamte im Einsatz. Er zog die Schultern hoch. Langsam wurde es ungemütlich auf seinem Beobachtungsposten. Vermutlich würde irgendwem auch mal auffallen, dass sonntags keine Busse fuhren und der Mann an der Haltestelle daher völlig vergeblich wartete. Danneberg fand den Busfahrplan genauso merkwürdig wie die Tatsache, dass nach der Wende nicht eine überdachte Haltestelle gebaut worden war. So ließ man die Reisenden einfach im Regen stehen. Auf der anderen Seite konnte das genauso Absicht gewesen sein. Wer im Regen steht, weiss zumindest, wo sein Platz ist.

Die Sache wurde ihm langsam zu blöd. Seine Mantel war durchnässt, ihm war kalt und er war noch müde von gestern Abend. Wenn er jetzt allerdings gehen würde, müsste er sich wieder diesen Spruch vom Chefredakteur anhören. Von wegen, dass Danneberg dankbar dafür sein sollte, dass man ihn damals nicht die Straße gesetzt hatte. Der Kerl war einfach ein Schwein. Erst hatte er Dannebergs Frau gevögelt und dann noch die Akte unter die Nase gerieben. „Sein sie froh, dass sie sich in ihrem Alter nicht einen neuen Job suchen müssen.“ In seinem Alter. So ein Blödsinn. Dabei war der neue Chefredakteur zehn Jahre älter als Danneberg. Wie vieles hatte Danneberg auch das geschluckt, hatte auch in die Scheidung eingewilligt und war ausgezogen. Der alte Trabant und die Datascha hatte sie ihm gelassen, immerhin.

Wie bereits gestern erwähnt, ist mir die Figur mittlerweile ans Herz gewachsen. Der oben angeführte Text ist nur ein kleiner Teil einer Handlung, die sich auf magische Art wie von selbst ergibt. Das könnte man sehr schön mit Hilfe eines Slogans auf den Punkt bringen: „Ein Herz für Nebenfiguren“.

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