Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Die Woche ist noch nicht zu Ende. Ich weiß gerade nicht, ob das ein Trost oder eine Drohung sein soll. In das Geheul, wie schnell doch die Zeit vergeht, möchte ich nicht einstimmen, denn die Zeit vergeht immer genau gleich. Es kommt lediglich darauf an, wie man sie nutzt.

Wenn ich mir den Bücherstapel zu meiner Linken anschauen, habe ich derzeit nicht den Eindruck, dass ich sehr effektiv darin bin, ihn kleiner zu bekommen. Sicher, in meinen Kopf stopfe ich immer mehr Wissen zum Thema Bücher, Literatur und schreiben von Romanen hinein. Die Menge Texte, die ich selber dabei produziere (abzüglich der Blogeinträge), wird aber nicht größer, sondern kleiner. Es ist aber keine Schreibblockade, sondern die unbändige Lust am Wissen, woraus gute Bücher im Kern bestehen. Rückblickend auf die letzten 15 Jahre frage ich mich dabei, warum ich nicht viel früher das Thema für mich entdeckt habe (oder warum ich nicht Literaturwissenschaften studiert habe). Man kommt dann schnell an den Punkt, wo man in sich in eine sentimentale Stimmung hineinsteigert und sich fragt, ob man nicht sein bisheriges Leben in teilen verschwendet hat. Ob man nicht an der einen oder anderen Abzweigung falsch abbog. Hinterher, so meint man, ist man immer klüger.

Genau das aber ist nicht klug. Denn wer so zurück blickt, sieht nicht die Zeit und die Chancen, die vor einem liegen. Die Woche ist nicht zu Ende, hatte ich einleitend geschrieben. Genau darin liegt auch eine große Chance. Ich kann immer noch einen Teil der Bücher lesen, ich kann immer noch schreiben, was mir gerade durch den Kopf geht. Jeder Tag, der vor uns liegt, birgt einen Neuanfang in sich. Wenn wir verharren, uns darüber beschweren, wie schlecht wir in der Vergangenheit gewählt haben und wie schnell doch die Zeit vergeht, sind wir blind für das, was noch möglich ist.

Man ist nicht zu alt für etwas, sondern nur zu faul. Unser größter Feind ist nicht die Zeit, sondern die Trägheit. Wer sich sein Leben bequem einrichtet und seinen Horizont immer weiter schrumpfen lässt, für den vergeht die Zeit wohl wirklich schneller, weil es keine Abwechslung gibt. Er hat einen Pakt geschlossen und Aufregung, Unsicherheit und Abenteuer eingetauscht gegen eine Sicherheit. Diese Sicherheit wird dann zu einem Gefängnis. Morgen ist Freitag, dann ist das Wochenende wieder rum und immer noch hat sich nichts geändert. Dabei ließe sich doch so viel erleben.

Bei meiner Beschäftigung mit dem „Wie“ des Romane Schreibens stoße ich immer wieder darauf, dass man als Autor das Privileg genießt, der Frage „Was wäre wenn?“ nachzugehen. Natürlich nur schreiben. Was aber wäre, wenn ich tatsächlich Dinge tun würde, die von dem abweichen, was ich sonst tue? Wenn einfach mal eine Haltestelle später aussteige oder mir mit der Zahnbürste in der linken Hand die Zähne putze? Klingt verrückt und genau das ist ist es, was einen freudig ausrufen lässt: „Die Woche ist noch nicht zu Ende!“

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