Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Auf dem Weg zurück aus der Kölner-Innenstadt, in der U-Bahn, eingequetscht zwischen fremden Menschen. Das ist nichts, was einem gefällt. Oder doch? Es gibt keine Zauberformel, mit der die Bahn plötzlich leer ist, aber einen kleinen Trick, mit dem der Zustand erträglicher wird.

Statt sich über seine Mitmenschen aufzuregen, sich selber schlechte Laune zu machen, denn die stellt sich zwangsläufig ein, wenn man sich aufregt, sollte man die Situation einfach als Chance sehen. Nirgends sonst als im öffentlichen Nah- (und auch Fern-) verkehr lässt sich so unterschiedliche Menschen in kurzer Zeit beobachten. Was man mitbekommen an Eindrücken und Lebensgeschichten, kann mitunter sogar hochspannend sein. Betrachten wir folgenden Ausschnitt, den ich heute so mitbekommen habe.

Eine Frau, Anfang zwanzig. Lange rote Haare, blaue Augen, Sommersprossen. Nicht ungepflegt anzuschauen. Vor ihr ein Mann, vermutlich im gleichen Alter, dessen Rücken nur zu sehen war. Er hielt sich schweigsam an seinem Fahrrad fest. Zu erkennen war, dass er ein bekannter der Frau war, die ihn beim Schreiben einer Geburtstags-SMS mit einbezog. Ob sie denn auch von ihm Grüße ausrichten solle, fragte sie ihn. Noch nicht spannend genug? Wird es aber, denn die Stimme der Frau weckte meine Neugierde. Nicht wegen des Berliner Dialektes, der noch etwas anklang, sondern wegen der schleppende Art, wie sie sprach. Nicht lallend, aber trotzdem fast wie betäubt. An den Augen war nichts abzulesen, aber je mehr ich von dem mitbekam, was sie ihren Bekannten erzählte, desto deutlicher wurde, dass sie eine Drogenkarriere hinter sich hatte und im Februar eine Ausbildung zur Einzelhandelsverkäuferin beginnen wird. Diesmal, so versprach sie dem Bekannten, würde sie es durchziehen.

Als die beiden ausstiegen, ging öffnete mein eigenes Kopfkino gerade an. Privatvorstellung. Was führte dazu, dass die Frau in die Drogenszene abgerutscht war? Warum hat sie das äußerlich zumindest so gut überstanden? Wieso ist sie von Berlin nach Köln gezogen? Hat sie die Schule abgebrochen?

Jede Frage führt zu einer neuen Frage, zu einer neuen Weggabelung in der Geschichte, die einen weiter verfolgt. An der nächsten Stadtion steigt eine alte Dame ein, die mit ihrem Koffer redet. Der vorherige Filme geht endet, es wird eine neue Filmspule eingelegt. Mit der Bahn zu fahren, nervt manchmal. Wartezeiten sind anstrengen, reißen an der Geduld. Wenn man sich aber darauf einlässt, in die Geschichten einzutauchen, die einem unmittelbar vor die Füße gelegt werden, dann ist selbst die kürzeste Strecke, die man unterwegs ist, eine hochspannende Sache. Man muss nur eine Antenne für das Leben seiner Mitmenschen habe, schon bekommt man ganz werbefrei interessante Kurzfilme geboten.

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