Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Wie leicht formt man aus den Fingern seiner Hand eine Pistole, mit dem Daumen als Abzugshahn. Ebenso leicht kommt uns, auf einen anderen Menschen mit unserer Fingerpistole deutend, der Satz „Ich bring dich um” über die Lippen.

In den allermeisten Fällen passiert so was als spontane Reaktion auf ein Ereignis. Eine Umsetzung in die Tat findet nicht statt. War ja nicht so gemeint. Oder doch? Wir können nicht leugnen, dass der Mensch an sich gewalttätig ist. Die gesamte Menschheitsgeschichte ist von Gewalt durchzogen. In tausenden von Jahren haben wir gelernt, diese Gewalt mehr oder minder gut in den Griff zu bekommen, uns zu beherrschen. Gewalt ist in unserer Kultur verstaatlicht worden, Mord in Totschlag werden sanktioniert. Gewalt gegen andere Länder nennt sich Krieg, bei dem die Grausamkeiten einem Reglement unterliegen.

Das dies nicht immer funktioniert, zeigen Terrorismus, Amokläufe und andere Formen des gezielten Tötens. Nach dem Geschehen gestern in Winnenden, bei dem ein 17-jähriger 15 Menschen und am Ende sich selbst erschossen hat, wird wieder nach Erklärungen gesucht. Erklärungen, die wir brauchen, um solche Taten so weit es geht emotional zu verarbeiten. Wir wollen, müssen verstehen, um weiterleben zu können.

Die Erklärungsversuche sind dabei nur sehr bedingt geeignet als Vorlage für Präventionsmaßnahmen. Trotzdem setzt wie bereits in der jüngeren Vergangenheit nach ähnlichen Amokläufen in Deutschland das Schwarze Peter Spiel ein. Mal sind es die frei verfügbaren Waffen in der Familie, welche die Tat ermöglichen, Killerspiele,die virtuell das Töten trainieren oder aber die Mitschüler, die den Täter jahrelang gehänselt und gequält haben, um nur einige Stereotypen zu nennen.

Was feststehen dürfte: zu einen Amoklauf führen viele Ursachen. Bei allen Unterschieden haben die Taten in Deutschland in Winnenden, Emsdetten und Erfurt eines gemeinsam. Die Familien der Täter standen nicht am Rand der Gesellschaft, sie waren etabliert. Schaut man sich die Häuser an, kann man sogar von einem gewissen Wohlstand sprechen. Auffällig ist auch, dass die Täter die Aufstiegskariere ihrer Eltern nicht hätten fortsetzen können. Der aus ihrer Kindheit gewohnte Lebensstandard wäre etwas gewesen, was sie für sich nicht hätten wieder erreichen können. Diese Versagensangst sollte keinesfalls unterschätz werden, zumal der soziale Abstieg noch einigen jungen Menschen mehr bevorsteht.

Der Amoklauf von Winnenden ist die Tat eines Einzelnen, aber die Ursachen dafür sind in der gesamten Gesellschaft zu suchen. Angst immer ein schlechter Ratgeber, auch bei der Suche nach Ursachen. Angst führt dazu, dass wir irrational reagieren. Das gilt auch bei der Auswahl von Präventionsmaßnahmen. Nach der Tat in Winnenden dringen geboten erforderlich ist eine sachliche Betrachtung aller Faktoren, die zu dem Amoklauf geführt haben, dringend geboten. Monokausale Erklärungen oder sensationslüsternde Berichterstattung helfen dagegen niemanden, sie stillen nur Bedürfnisse, die wie die Gewalt selber primitive Instinkten entspringen.

6 Kommentare

  1. Tragisch was dort passiert ist, aber ich befürchte, dass wieder mal geredet, geforscht und analysiert wird, wie seinerzeit nach Erfurt. Der nächsten Amoklauf kommt definitiv, die Frage ist nur, wieviel Tote es dann geben wird.

    Für mich ist das ein Versagen der Gesellschaft. Gib den jungen Leuten eine Perspektive und Arbeit, dann kommen sie erst gar nicht auf solche Ideen.

  2. Hier haben mal wieder einige versagt. Unsere Psychologen werden schon tausend Gründe finden, warum ein junger Mann so etwas macht. Aber Fakt ist, daß dieses rauf und runter leiern im Fernsehn nur Nachahmer anspornt. Es gab wohl auch gleich viele Ankündigungen im Netz. In solchen Fällen müßte es eine leichte Zensur geben.

  3. Ich hatte gestern eine recht lange Antwort zu dem Eintrag verfasst, dann aber leider mich auf der Tastatur verklickt und… naja. Jedenfalls, und das war das Anliegen meines Beitrags, schließe ich mich Karsten an: Die Berichterstattung der Medien, die öffentliche Reaktion der Politiker, allgemein der ganze Wirbel sind eine sehr starke Motivation der sogenannten „School Shooter“ (es handelt sich hier nicht um einen Amoklauf). Das ist der Stand der Forschung zur Sache, das hatte kurz nach Bekanntwerden der Tat ein Polizeifachmann (?, Name und Position leider entfallen) in einem N-TV Interview erklärt.
    Zensur ist immer ein blödes Wort. Eine verantwortungsvolle Arbeit seitens der Journalisten wird es aber ganz offensichtlich auch nicht geben. Bei den üblichen Verdächtigen sowieso nicht, leider aber auch kaum bei ansonsten eher seriösen Quellen.

    Natürlich kann man das Problem nicht auf dieser Ebene allein angehen, das muss man wohl nicht erwähnen. Aber es sollte endlich eine Sensibilisierung dafür einsetzen, die Berichterstattung als Teil des Problems zu begreifen.

  4. Der von allen Medien ungeprüft übernommene angebliche Internetchat, der sich letztlich als Fake offenbarte, spricht für die Dilettanz der Möchtegernjournalisten. In diesem Zusammenhang habe ich einen Link entdeckt, den ich Euch nicht vorenthalten möchte: Nachdenkseiten.de

    @Micha
    Egal wie man es nennt, mit dieser Tat zeigt sich, wohin uns die Marktwirtschaftsdemokratie bringt.

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