Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Nach dem die meisten wohl die letzte Folge von „Merkel macht was mit Medien” verdaut haben, geht es wieder frisch weiter mit einem neuen Videocast, für dessen Qualität sich jeder Teilnehmer an einem VHS-Videoschnittkurs schämen würde.

Diesmal will uns die Bundeskanzlerin was zum Thema Europa erzählen. Europa? Liegt das das nichtgleich hinter Wattenscheid? Wohl eher nicht, denn Angela Merkel meint nicht irgendein heruntergekommenes Einkaufszentrum, sondern DAS EUROPA. Quasi das Europa, dessen Bürger wir wohl sind und dem wird diese neue Währung, die hierzulande so keiner richtig mag, zu verdanken haben.

Wie dem auch sei, der Bundeskanzlerin geht es diesmal um so was weltbewegendes wie die deutsche EU-Präsidentschaft.

Am 1. Januar 2007 wird Deutschland die Präsidentschaft der Europäischen Union für ein halbes Jahr übernehmen. Wir bereiten uns auf diese Präsidentschaft sehr gut vor und werden deshalb in der nächsten Woche, am 11. Oktober, in einer Kabinettsitzung zusammen mit dem Präsidenten der Europäischen Union, José Manuel Barroso, über unsere Schwerpunkte der Präsidentschaft diskutieren.

Wie war das gleich? Fakten, Fakten, Fakten und nur nicht an die Hörer denken? Das zu beherzigen fällt der Bundeskanzlerin deutlich leichter als die Gesundheitsreform bei den CDU-Ministerpräsidenten durchzusetzen. Auch wenn das in meinem Fall wohl etwas anmaßend klingt (Kenner wissen warum), so sei doch von mir an dieser Stelle eingeworfen, dass es mit der Aussprach von spanischen Namen bei Frau Merkel noch etwas hapert. Der Nachnahme des amtierenden EU-Präsidenten klingt aus ihrem Munde – nun ja, auf jeden Fall nicht Spanisch.

Wir wissen, dass die deutsche Präsidentschaft in eine Zeit fällt, in der viele Bürgerinnen und Bürger skeptische Fragen an die Europäische Union stellen.

Eigentlich stellen die Bürgerinnen und Bürger der EU ebenso wenig Fragen wie sie Deutschland fragen stellen. Zutreffend ist aber, dass sie dem Gebaren der Politiker zunehmend skeptisch gegenüber stehen.

Gibt es nicht zuviel Bürokratie? Kann Europa unsere Sicherheit schützen? Sind wir nicht überfordert, weil wir unsere Grenzen in Europa nicht klar benennen?

Aus den Kontext gerissen wären das durchaus auch Fragen die Wählerinnen und Wähler an unsere Bundesregierung stellen. Das Grundproblem, an dem Europa krankt, ist weniger die Bürokratie denn die mangelnde Richtlinienkompetenz (ein schönes Wort, besonders wenn es n der Nähe zur Bundeskanzlerin auftaucht). Die EU tritt nach außen nicht mit einer, sondern mit vielen Stimmen auf. Jedes Mitgliedsland will zufrieden gestellt werden. Das Gezerre, welches Politiker, geborene Bürokraten und Lobbyisten veranstalten, führt mitunter schon mal zu einem weniger schönen Eindruck, den sowohl Außenstehende als auch EU-Bürger von dem Gebilde Europäische Union bekommen. Dabei entsteht eine Überforderung nicht auf Grund unklarer Grenzen, sondern weil es zu wenig Transparenz in die Entscheidungsprozesse gibt. Letztendlich kann die EU nur dann funktionieren, wenn die Mitgliedsstaaten bereit sind, mehr als bisher an Macht an die EU abzutreten. So wie bisher erinnert die Europäische Union eher an Deutschland zur Zeit der Kleinstaaten.

Wir wollen als deutsche Präsidentschaft auf diese Fragen versuchen, Antworten zu geben. Was heißt das?

Dieser Satz wird wohl künftig in Lehramtsprüfung, Fachrichtung Deutsch verwendet werden. Wer länger als zehn Sekunden benötigt, um den Fehler zu finden, ist durchgefallen. Damals, in der Grundschule, hätten wir wohl gesagt: „Angela, kauf dich mal ne Tüte Deutsch.” Aber mal im Ernst. Liest das, was sie da vom Teleprompter abstottert, nicht vorher jemand gegen? Wer ist verantwortlich für die Texte? Doch wohl nicht etwa ein unbezahlter Praktikant im Bundeskanzleramt?

Erstens: Ich glaube, Europa muss sich wieder stärker zu seinen gemeinsamen Werten bekennen.

Hinterlistig. Wir wissen ja, was Frau Merkel wirklich vom EU-Beitritt der Türkei hält. In der CDU gibt es so einige Nasen, die der Meinung sind, dass wir mit der Türkei eben keine Schnittmenge in Bezug auf Werte haben.

50 Jahre Römische Verträge – das wird am 25. März des nächsten Jahres ein guter Anlass sein, genau darüber zu reden: Was bedeuten Freiheit und Menschenwürde für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Also gut, reden wir mal darüber, was Freiheit und Menschenwürde in diesem Land bedeuten, Frau Merkel. Ist es mit der Menschenwürde vereinbar, unter Folter erpresste Geständnisse zu verwenden? Bedeutet Freiheit auch, einen Bündnispartner nicht auf die Finger zu schauen und gewähren zu lassen, wenn der die Menschenrechte mit Füßen tritt? Gilt in Deutschland die Menschenwürde nur für Bürger deutscher Herkunft? Nur so mal ein paar Gedanken, vielleicht verschwenden sie ja etwas ihrer Aufmerksamkeit an diese Fragen.

Was genau mit de römischen Verträgen gemeint ist, werden wohl viele (mich eingeschlossen) nicht wissen.

Ein gemeinsames Verständnis davon ist auch die Voraussetzung, mit anderen Kulturen und Religionen in einen ernsthaften und ehrlichen Dialog einzutreten.

Es drängt sicher der Eindruck auf, dass es an einigen Stellen wohl nur um einen Minimalkonsens geht. Wie schon so oft gesagt: Menschenrechte sind nicht verhandelbar, daher kann es darüber auch keinen Dialog geben, sondern nur unvereinbare Positionen. Das festzuhalten und sich dazu offen zu bekennen, das wäre ehrlich.

Zweitens: Europa muss sagen, wo seine Grenzen liegen.

Von der Maas bis an die Memel – ups falscher Film. Der Bundeskanzlerin ist wohl entgangen, dass Europa bereits sehr deutlich sagt, wo seine Grenzen liegen. Abgeschobene Flüchtlinge können das bestätigen.

Wir haben Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und auch mit der Türkei, aber wir wissen auch: Wir werden auf absehbare Zeit keine weiteren Mitgliedstaaten aufnehmen können. Und auch die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müssen ergebnisoffen geführt werden.

Jetzt ist es gefallen, das hässliche Wort, auf dass wir die ganze Zeit gewartet haben: „ergebnisoffen” Eine Ohrfeige für die Türkei, eine nicht zur rechtfertigende Ungleichbehandlung. Dieser Eiertanz um den Beitritt der Türkei, die unter anderem auch ein verlässliches NATO-Mitglied ist, ist zutiefst beschämend. Zu einem EU-Beitritt der Türkei gibt es keine Alternative. Vieles, was dagegen als Argument ins Feld geführt wird, entpuppt sich bei näherem hinsehen als Scheinargument. Wir brauchen die Türkei auch deshalb in der EU, um anderen Staaten mit vornehmlich moslemischer Bevölkerung zu zeigen, dass es bei uns keine grundsätzlich ablehnende Haltung gibt.

Drittens: Europa muss seine wirtschaftliche Dynamik verbessern. Wir haben viele Wettbewerber auf der Welt. Indien, China und andere Länder holen auf, und nur wenn Europa gemeinsam für wirtschaftliches Wachstum kämpft, Bürokratie abbaut, auf Innovation und Neuerung setzt, nur dann werden wir den Wohlstand auf unserem Kontinent erhalten können.

Unwidersprochen richtig. Dazu gehört aber auch, dass über den Stellenwert von Arbeit nachgedacht werden muss und der Weg geebnet wird für eine einheitliche Sozialpolitik. Zudem sollten verbindliche Standards, zum Beispiel in Bezug auf den Umweltschutz, festgelegt werden, die für alle innerhalb und außerhalb der EU produzierten Güter gelten. Ein Verstoß gegen diese Standards führt automatisch zur Erhebung von Strafzöllen.

Viertens: Europa muss sein Gewicht gemeinsam in die Waagschale werfen, wenn es um die Gestaltung der Wirtschaftsordnung, der sozialen Wirtschaftsordnung weltweit geht.

Abgesehen von der schülerhaften Aufzählung, vom Tummeln auf Allgemeinplätzen, ist auch das richtig. Nur wenn Europa mit einer Stimme spricht, wird der Rest der Welt auf Europa hören. Insbesondere in Bezug auf die USA wäre es von entscheidender geopolitischer Bedeutung, wenn Europa stärke zeigen könnte und würde. Die EU hat gute Chance, in Zukunft als Vermittler bei Konflikten zu fungieren. Das aber erfordert, wie Angela Merkel richtig anführt, das gemeinsame Ziehen an einem Strang.

Das bedeutet, wir müssen uns gemeinsam einsetzen für den Schutz des geistigen Eigentums,

Sicher auch nicht unwichtig, aber kein vordringliches Ziel. Es fehlt an dieser Stelle zumindest der Hinweis darauf, aus welcher Perspektive der Schutz des geistigen Eigentums erfolgen soll. Wer profitiert davon und wie sieht es zum Beispiel mit dem Recht auf eine Privatkopie aus? Wie auch bisher, bleibt die Bundeskanzlerin wage.

wir müssen uns einsetzen für faire Bedingungen im Welthandel und dies alles kann kein Mitgliedstaat alleine tun, sondern hier bedarf es der Gesamtheit der Europäischen Union.

Eine sprachliche Feinheit, die falsch verstanden werden kann. Faire Bedingungen im Welthandel müssen nicht zwangsläufig übereinstimmen mit fairem Handel, wie er nicht nur von der politischen Linken seit Jahrzehnten gefordert wird. Denken wir mal lieber nicht darüber nach, was ein Konservativer unter „fair” versteht – zu befürchten ist, dass es das Gleiche sein wird wie „Chancengleichheit”, auch ein Begriff, der in der Vergangenheit sehr unterschiedlich aufgefasst wurde.

Und fünftens: Wir müssen sagen, wie unsere Verfasstheit ist.

Es war definitiv was in ihrem Tee. Verfasstheit? Ich kenne nur Verfassung und Frau Merkel scheint nicht in bester zu sein.

Was heißt das?

Das wird wohl außer der Bundeskanzlerin selber niemand so genau wissen. Lassen wir sie mal erklären, was damit gemeint ist:

Was heißt das? Ich bin der Meinung, wir brauch brauchen einen Verfassungsvertrag

Da ist Angela Merkel etwas ins Schleudern gekommen. Ob sie wirklich der Meinung ist, dass wir (wer sind eigentlich wir?) einen Verfassungsvertrag brauchen? Oder gab es da eine kurze Störung im Prompter? Die Kamera jedenfalls scheint eh nicht die beste zu sein. Dabei müsste sich Stoibers Schwiegersohn doch mittlerweile besseres Equipment leisten können.

Aber gut, was soll denn so ein Verfassungsvertrag leisten?

Ein Verfassungsvertrach, in dem deutlich wird, wofür Europa steht und was die Verantwortung der Nationalstaaten ist.

Wofür Europa steht, sollte auch den Menschen in Europa vermittelt werden. Nur wenn der europäische Gedanke die Herzen der Menschen erreicht, nur dann wird es wirklich ein echtes Europa geben, dass sich mit einer Stimme erhebt und seinen Platz in der Welt einnimmt. Den Preis, Frau Merkel, den Preis dafür kennen sie. Bezahlt wird mit einem deutlicheren Verzicht an Macht seitens der Nationalstaaten als bisher. Europa stärken ist nur möglich, wenn die Nationalstaaten schwächer werden. Die Vorbehalte dagegen sind aber sehr stark, auch in der Partei der Bundeskanzlerin.

Am Rande bemerkt sei noch, das Vertrag am Ende ein g hat, was auch ruhig betont werden kann.

Viele Menschen haben Angst, dass alles von Europa aus geregelt wird. Das darf es nicht sein!

Was darf es nicht sein? Das die Menschen Angst haben oder das alles von Europa geregelt wird? Agst lässt sich durch Aufklärung mildern. So gesehen liegt noch eine Große Aufgabe vor der EU.

Und deshalb müssen wir uns Mühe geben, während unserer Präsidentschaft einen Fahrplan aufzuzeigen, wie ein Verfassungsvertrag in Europa Realität werden kann.

Das er sich Mühe geben wird, sagt eigentlich jemand, der weiß, dass er scheitern wird.

Ich glaube, es wird deutlich: Wir haben viel zu tun in unserer Präsidentschaft.

Sie will eigentlich sagen: Glauben sie uns, wir sind schon mit den Probleme hier in Deutschland überfordert. Erwarten sie daher nicht zu viel von uns, wenn wir die EU-Präsidentschaft inne haben.

Wir wollen Europa den Bürgerinnen und Bürgern wieder näher bringen.

Näher bringen ja, aber bitte nicht näher bringen, denn das impliziert: es wurde von einem der Vorgänger in der EU-Präsidentschaft geschlampt.

Dazu dienen unsere Vorbereitungen, dafür wollen wir uns einsetzen, und wir laden Sie ein, Ihre Fragen zu Europa und Ihre Meinung zu Europa uns mitzuteilen.

Noch ein paar Floskeln zum Abschluss, der uns zum Fazit der aktuellen Folge führt. Immer stärker stellt sich doch die Frage, für welche Zielgruppe der Videocast überhaupt gemacht wird. Das Thema Europa und Europäische Union ist sicher nicht unspannend, vorausgesetzt, es wird ansprechend vermittelt. Daran scheitert die Bundeskanzlerin jedoch, wie auch ihre Rolle als Vermittlerin an andere Stelle nicht von ihr ausgefüllt wird.

Das Team um Angela Merkel sollte sich dringend Gedanken darüber machen, welche Themen künftig Videocast tauglich sind und sich auch in der zur Verfügung stehenden Zeit so vermitteln lassen, dass sich Menschen dadurch angesprochen fühlen. Mit dem bisherigen Schauspiel erreicht die Bundeskanzlerin nicht mal ihre eigenen Anhänger.

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