Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Die Wahrheit ist ein weites Feld, auf dem sich mitunter die Ratten tummeln. Nach dem Günther Grass am Wochenende seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS eingestanden hat, ist von überall der Lärm lauter Blechtrommeln zu hören. Die ersten Unken rufen die Selbstmontage einer moralischen Instanz aus. Andere wiederum sind der Meinung, dass jetzt erst der richtige Zeitpunkt gekommen sei, das bisherige Katz- und Mausspiel zu beenden.

Sicher ist es so, dass einem Siebzehnjährigen noch die nötige geistige Reife fehlt. Für Grass spricht daher auf jeden Fall sein damaliges Alter. Nun ist es aber auf der anderen Seite so, dass die Zugehörigkeit zur Waffen-SS kein Dummerjungenstreich ist.

Ebenso sei anzumerken, dass andere in seinem Alter durchaus dazu in der Lage waren, differenziert zu reflektieren. Statt willig mitzulaufen, haben sie sich als Edelweißpiraten oder Mitglieder der Weißen Rose gegen das Regime gestellt. Zu offenem Widerstand bedarf es aber Mut, den nicht jeder hat. Die Angst vor Verfolgung und Tot lähmt und verhindert das Handeln.

Gerade wir, die wir die so genannte Gnade der viel, viel späteren Geburt erfahren haben, steht es mitunter nicht zu, über Menschen, die in ihrer Zeit versucht haben zu leben und zu überleben, zu richten. Was aber den Mut anbetrifft, den Günther Grass damals nicht gehabt hat, so ist es doch eine maßlose Enttäuschung, dass all die Jahre nach dem Krieg ebenso mutlos gewesen ist. Oder hat es an dieser Stelle schon als Feigheit zu gelten, wenn er seinen Mitmenschen die Wahrheit verschwiegen hat?

Sicher ist, dass es viele Gelegenheiten gegeben hätte, sich zu offenbaren. Zuletzt im vergangenen Sommer als, eine heftige Diskussion um den damaligen Kardinal Joseph Ratzinger (und jetzigen Papst Benedikt XVI.) entbrannte, weil dieser in der Hitlerjugend gewesen ist. Die Chance, da Joseph Ratzinger mit einem eigenen Geständnis beizuspringen, hat Günter Grass verpasst.

Jetzt im Zusammenhang mit einer Buchveröffentlichung, wirkt es wie ein schlechter PR-Gag, wie der Versuch eines in die Jahre gekommenen und nicht mehr im Licht der Öffentlichkeit stehenden Schriftstellers, wieder auf sich aufmerksam zu machen. Unbestreitbar ist ihm das wohl auch gelungen. Es kann aber auch der erste Schritt zur Demontage einer Ikone aus der Vergangenheit sein, denn als Mahner und Morallist hat Grass in Deutschland im Jahre 2006 längst ausgedient. Was bleibt, ist ein Makel auf der Biographie eines erfolgreichen Schriftstellers.

10 Kommentare

  1. @PR-Gag: Der Zeitpunkt für das biografische Bekenntnis des Günter Grass ist tatsächlich (un)günstig gewählt. – Zum Thema „Demontage einer Ikone“ allerdings: Wer von Grass im Nachhinein mehr Mut fordert, muss diesen selbst erst einmal unter Beweis stellen. (Zeitungs-) Kommentare 2006 sollten nicht über Zeiten und Personen richten, deren Wirklichkeit und Veränderung sie eigentlich nicht verstehen. Sonst bleibt nur Schwarz oder Weiß, Feind oder Freund: siehe Nahostkrieg.

  2. Ich denke, Kritik an Grass muss erlaubt sein. Den Hinweis, ist „nicht über Zeiten und Personen richten, deren Wirklichkeit und Veränderung sie eigentlich nicht verstehen“ halte ich für unangebracht. Es ist ja nicht so, dass ich kein Verständnis für die besondere Situation habe, in der sich Menschen in den Jahren 1933 bis 45 befunden haben. Aber alles damit zu entschulden und ihnen eine Persilschein auszustellen, dass kommt nicht in Frage. Und wie soll man Mut unter Beweis stellen? Dadurch, dass man sich als lebender Schutzschild für den Libanon verdingt? Das ich für meinen Teil die Welt nicht nur in Schwarz oder Weiß einteile, sollte bei etwas aufmerksameren Lesens meiner Artikel deutlich werden.

    Und um es noch mal auf den Punkt zu bringe: Wer sich wie Günther Grass so weit auf aus dem Fenster lehnt und andere beständig ihrer Vergangenheit beschuldigt hat, der ist tatsächlich durch ein so spätes Eingeständnis demontiert – endgültig und für alle Zeiten.

  3. @tboley: wildbits über Grass.. / „Dass ich für meinen Teil die Welt nicht nur in Schwarz oder Weiß einteile…“/ ..kritisch und konstruktiv: Kritik muss erlaubt sein, da stimme ich dir gerne zu – auch an Günter Grass. Mir geht nur das Denkmalpflegen einerseits und das Aburteilen andererseits zu schnell, welches heute in den Medien überwiegt. Dass die Betroffenen dazu oft selbst beitragen, steht außer Zweifel.

    Zum Thema Vergangenheitsbewältigung / Deutschland 2006: Wir sollten nicht nur Denkmäler umstürzen, sondern neu definieren, was – in der heutigen Welt – notwendig zu verändern ist.(Zum Beispiel: Nahostkonflikt – an den Krieg gewöhnt?)

    P.S.: Kompliment für wildbits – ich lese gerne hier.

  4. @Stephan: Danke fürs Kompliment :-)

    Ich denke, wir sind aus dem Alter raus, wo Denkmäler benötigt werden. Die stehen meistens nur vergessen in der Gegend herum und werden von Tauben – aber sparen wir uns da die Details. Was wir brauchen ist Mut, ehrlich zueinander zu sein. Mut, sich für Schwache einzusetzen. und Mut, dieser Regierung endlich zu sagen, dass es so nicht geht.

    Der Nahe Osten, der steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber dazu finden sich ja hier im Blog auch meine Gedanken.

  5. Offenbar ist Kritik in diesem Fall wirklich nicht erwünscht und erlaubt. Ich frage mich, wo die Menschen ihren Verstand gelassen haben. Selbstverständlich hätte er nicht 61 Jahre zu dieser Lüge greifen müssen. Dafür „Verständnis“ zu haben ist ein Hohn. Es ist nicht seine private „Lebenslüge“. Er hat jahrzehnte auf dem hohen Roß gesessen, und jetzt macht er einen PR Gag daraus.

  6. Es ist nicht gut, nicht zu dem zu stehen, was man getan hat, das gilt grundsätzlich und für jeden. Aber die Hetze gegen Günther Grass, die jetzt vom Zaun gebrochen wird, zeugt nur von großer Heuchelei. Immerhin ist Grass in der Nachkriegszeit entschieden für die demokratischen und freiheitlichen Rechte in Deutschland eingetreten und hat sich publizistisch und persönlich für Menschenrechte und gegen Waffenlieferung an diktatorische Systeme eingesetzt.
    Nichts gibt entschiedener Zeugnis von der Integrität dieses Mannes, mag er auch in der Waffen -SS manches Unrecht begangen haben, wie viele andere Deutsche auch durch Schweigen in dieser Zeit. Ich vergleiche das mit der Heranzüchtung von Schläfern bei El -Kaida oder Selbstmordattentätern der Hisbollah oder Kinder , die in Afrika an Waffen ausgebildet werden und auf Kinder schießen müssen. Jeder ist auch Produkt seiner Umwelt und wer den kritischen Geist nicht hat und erlernt hat , wird Mitläufer. Gehen wir doch mit denen zu Gericht, die andere dazu verleiten, mit denen, die Macht und Geld haben , um sich andere gefügig zu machen für ihre menschenverachtenden Interessen. Wer nur herzieht über Mitläufer, verhindert, daß diese umkehren von Ihren falschen Wegen, das war damals und ist heute.
    Günther Grass ist hoch anzurechnen, daß er zum kritischen Geist ermutigt hat und zur Auseiandersetzung mit dem geistigen Erbe der NS-Zeit. Seine Auszeichnungen hat er zu Recht erhalten und sind durch sein Verschweigen (immerhin stand es ja in amtlichen öffentlichen Dokumenten) nicht weniger gerechtfertigt. Sicher wäre es um der Sache willen besser gewesen, sich früher dazu zu bekennen, aber besser spät als nie.

  7. Der Punkt ist ein anderer. Grass hat sich über Jahrzehnte als Moralapostel aufgespielt hat und anderen ihre Vergangenheit und Bigotterie vorgeworfen. Soll man da jetzt schweigen, wenn er viel zu spät mit der Wahrheit daherkommt? Er, der er ständig nach Wahrheit gerufen hat? Nein, schweigen kann man da nicht.

    Sicher er war 17. Aber das nur ein Jahr lang. Und um mal ganz fair zu sein: Es gab in seinem Alter genügen, die nicht mit der Hand zum Führergruß der Waffen-SS beigetreten sind.

    Wer andere ständig ermahnt, keine Süßigkeiten zu essen aber selber dann mit der Hand in der Keksdose erwischt wird, gibt keine gute Figur ab.

    Es geht nicht darum, Grass wegen dem, was er gemacht hat zu verurteilen. Sondern es geht darum, ihm dass, was er unterlassen hat, vorwerfen zu dürfen.

    Wie heißt es doch gleich: Schweigen ist auch eine Form der Mittäterschaft.

  8. Zunächst einmal gilt es, die Frage zu klären, ob er beigetreten ist, oder, wie in den späten Kriegstagen üblich, beigetreten wurde. Das war zu der Zeit bereits gängige Praxis. Auf Ideologie wurde in diesen Tagen gepfiffen, hauptsache es gab Fleischnachschub für die Front.

    Der Einzige, der diese Frage klären kann wäre Grass selbst, aber der schweigt. Das erscheint mir aber auch die einzig vernünftige Reaktion auf das, was der reisserische deutsche Blätterwald gerade veranstaltet.

    Insofern tut Grass sich zwar keinen, aber der Öffentlichkeit einen großen Gefallen. Er demonstriert gerade wie unglaublich Sensations und RufmordGEIL der deutsche Journalismus inzwischen geworden ist. Aber was will man von einer Nation der Bildleser auch erwarten? Ich freue mich auf den Tag, an dem endlich wieder sachlich darüber diskutiert werden kann. Es dauert nicht mehr lange, dann kann Bild und Co mit der Schlagzeile nichts mehr verdienen.

    Bis dahin empfinde ich das Interview von aspekte mit Martin Walser zu dem Thema als den bisher einzig ernstzunehmenden Beitrag zu der Diskussion um Grass.

    Man sollte jedem zugestehen, das er seine Meinung auch ändern kann. Egal, wie es war, sein Verdienst um das Gedenken an die Schrecken und der Beharrliche Kampf gegen die deutsche Doppelmoral wiegen für mich mehr als eine Jugendsünde.

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