Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Die brennende Kreativität vieler namenlos gebliebener Ideen fraß an ihm. Täglich zerrte es ihn ein Stück mehr auf, nur der Anonyme zu sein. Viele Menschen kannten und sahen seine Arbeit, aber niemand konnte ihn dahinter sehen. Unerkannt, unbekannt und verborgen war er. Die sich in ihm ausbreitende Leere versuchte er mit Alkohol zu bekämpfen, was aber nur mäßig gelang. Auf jeden Abend, der ihn so hoffnungsvoll seine Sorgen vertrieb, folgte ein Morgen, der ihn mit ernüchternder Klarheit wieder die Wahrheit sehen ließ. Er war niemand. Sein Name würde mit ihm vergehen, die Asche seines Körpers würde ungeachtet hinfortgeweht werden.

Voller Neid blickte er auf die, die es zu etwas gebracht hatten. Deren Namen bekannt waren, respektvoll geflüstert wurden oder auf großen Plakaten leuchteten. Aus ihm würde nie wieder ein heller Stern werden. Seine Seele hatte er verkauft, eingetauscht für eine Hand voll Glasperlen, die sich längst verflüssigt hatten. Abgeschrieben hatte er sich, fühlte er sich. Die Zeit zog sich hin wie ein langes Band, das sich um ihn wand und ihn langsam erdrückte. Kurzatmigkeit hatte ihn fliehen lassen. Raus aus der Stadt, weg von Familie und Kinder, weg aus dem alten Leben in ein neues. Auf dem flachen Land, zwischen toten Flussarmen und beschaulich kleinen Dörfern ließ sich leichter atmen, so glaubte er.

Vor seinen eigene Dämonen ist es unmöglich zu fliehen. Noch war ihm das nicht klar und er glaubte, endlich ein Stück Ruhe gefunden zu haben. Sie hatten aber schon längst Witterung aufgenommen, waren ihm wie immer auf den Fersen. Im Frühnebel zwischen Kopfweiden lauerten sie. Seinen Hund, den er morgens ausführte, konnte sie spüren. Warnen aber konnte das brave Tier ihn nicht. Dazu hätte es auch viel mehr als nur eines Jaulen bedurft. Zu taub waren schon die Ohren, zu unempfänglich die Sinne geworden.

Jeder Tag, an dem die Wörter aus ihm herausflossen, war ein Aderlass an seiner Seele. Stück für Stück schwand sie. Am Ende würde nur eine farblose Hülle überbleiben, ein Nichts im Strom der Geschichte. Auf diesen Tag warteten die Dämonen, um sich seiner endgültig zu bemächtigen. Für sie war es eine Freude zu sehen, wer sich selber quälte. Sie ergötzen sich daran, wenn er seinen Hund trat, weil ihm die Ideen ausgingen bevor das Papier gefüllt war. In den Ecken seiner Wohnung hockte sie, sich mit Staubwolken neckend und vom letzten Tag träumend.

Auf langen Fahrten begleiteten sie ihn, nahm Platz auf dem leeren Sitz nebenan, schauten ihm über die Schulter, wenn er voller Konzentration schrieb, wiegten sich im Takt des voran rollenden Zuges. Sie schauten zu, wenn er andere herumschob, wenn er sich eine kurze Erleichterung mit einem kleinen Machtgefühl verschaffte. Ein kleiner König für einen Tag im Reich der Buchstaben. Eine schöne Lüge wie eine Hure, um sich selbst zu betrügen. Doch so viele andere er auch in seine Grube der Verzweiflung stürzen würde, sie würde nie voll werden. Das Loch fraß sich immer tiefer, würde Platz bieten um ganze Heerscharen von Seelen in sich zu verschlingen.

Ohne es zu merken, kam er dem Rand immer näher. Schon längst hätte er den mächtigen Sog spüren müssen. Doch selbst dann wäre seine Schicksal unvermeidbar. Es würde ihn verschlingen. Ihn selbst und jeden Satz, den er jemals geschrieben hatte. Dann würde sich das Loch nahtlos schließen. Keine Spur, kein Hinweise würde zurückbleiben. So, als ob es ihn nie gegeben hätte. Seine Text würde bleiben, aber kein Name verband sie mit ihm. Kein Anker in die Erinnerungen der Menschen gab es, der er ihm Halte geben könnte, der möglicherweise seine Rettung hätte sein können.

Er würde verschwinden. Früher oder später. Der genaue Zeitpunkt war den Dämonen leidlich egal, denn in ihrer Unsterblichkeit konnten sie warten. Andere würde in seine Fußstapfen treten, würde dem gleichen Pfad des selbstgewählten Schicksals folgen. Eine lange Reiher Namenloser, die bis zum allerletzten Satz am Ende aller Tage reichte. Texte würde an Mauern geklebt werden, andere überdecken, ergänzen, miteinander konkurrieren. Mauern würden einfallen und neu gebaut werden. Jede größer und höher als die vorherige. Solange, bis sie in den Himmel reichen, dem Tag das Licht und den Menschen die Luft nehmen würden. Mit dem letzten Lebenshauch würden auch die Wörter verschwinden. Nie mehr gesprochen, nie mehr geschrieben. Zurück bleiben würde ein einziges leeres weißes Blatt Papier. Symbol des Versprechens auf einen neuen Anfang. Der namenlose Schreiber, schon längst entschwunden, würde nie von dieser Hoffnung erfahren.

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