Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Es wurde scharf geschossen. Trotzdem gab es bisher noch keinen Untersuchungsausschuss, aber einen dubiosen Brief:

„Sollte es neben der Freiheit, eine Meinung zu verbreiten, nicht auch die Freiheit geben, eine Meinung nicht verbreitet zu wissen? Gilt beim Artikel fünf des Grundgesetzes nur Absatz eins, der das Recht auf Meinungsfreiheit definiert, und nicht Absatz zwei, der dieses Recht einschränkt, wenn die persönliche Ehre verletzt wird?”

Der ist nicht vom BND sondern von Jean-Remy von Matt, als Antwort an die Blogger, die sich über seinen Klowandvergleich aufgeregt haben. Was wie eine Entschuldigung aussieht, ist keine, sondern ein nach Werbeart geschickt verpackter erneuter Angriff. Der Vollständigkeit halber aber erstmal der ganze Text des Briefes, ausgeliehen vom Zielpublikum Weblog, denn an mich hat der Herr von Matt natürlich nicht geschrieben – vielleicht weil meine Klowand zu klein ist.

Liebe Blogger,

meine Mutter hat mir noch mehr beigebracht.

Zum Beispiel: Wer einen Fehler macht, sollte sich entschuldigen. Oder auch: Wer austeilt muss auch einstecken können.

Aber zunächst zu mir und meiner Entschuldigung:
Es ist mir sowohl klar, dass es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gibt, als auch, wie wichtig dieses Recht ist. Es ist mir insbesondere klar, wie viel die Weblogs für die Verwirklichung dieses Rechts tun – vor allem in Ländern, wo Meinungsfreiheit nicht selbstverständlich ist.

Insofern tut es mir leid, dass ich dieses Recht unbedacht in Frage gestellt habe. Ich hatte mich halt aufgeregt! Und eine Mail an meine Mitarbeiter geschrieben, die durch die berechtigte oder unberechtigte Kritik an einer Kampagne, an der sie monatelang hart gearbeitet haben, verunsichert waren und Zuspruch verdient hatten.

Vielleicht klang auch etwas Neid auf Euch durch, da die Form von Meinungsäußerung, die ich als Werbetexter seit über 30 Jahren betreibe, alles andere als frei ist: Jedes Wort wird vor der Veröffentlichung lange abgewogen, mit Auftraggebern verhandelt und dann noch repräsentativ auf seine Wirkung getestet.

Aber! Auch wenn die meiste Kritik an meinem Text konstruktiv und ernsthaft war, empfinde ich es als kommunikativen Hausfriedensbruch, dass eine interne Mail wie eine Sau durchs Dorf „Kleinbloggersheim“ getrieben wird.

Sollte es neben der Freiheit, eine Meinung zu verbreiten, nicht auch die Freiheit geben, eine Meinung nicht verbreitet zu wissen? Gilt beim Artikel fünf des Grundgesetzes nur Absatz eins, der das Recht auf Meinungsfreiheit definiert, und nicht Absatz zwei, der dieses Recht einschränkt, wenn die persönliche Ehre verletzt wird?

Kennt die Blogosphäre etwa keine Privatsphäre?

Viele von Euch schreiben, ich hätte mit meiner Mail ein Eigentor geschossen. Okay, eins vielleicht. Aber wie viele Eigentore schießt ihr gerade, indem Ihr mein Schlagwort „Klowände des Internets“ teils empört, teils genüsslich aufgreift im Sinne eines Agenda Setting verbreitet? Bei Technorati.com war der Suchbegriff zeitweise auf Platz 3!

Die Klowand-Debatte erinnert mich übrigens an Münteferings Heuschrecken-Debatte: In beiden Fällen gab es Kritik, dass ein Sachverhalt mit einem plakativen Bild unzulässig verallgemeinert wurde.

Die Heuschrecken waren ein Symbol für das Abgrasen und Weiterziehen. Die Klowände sind ein Symbol für das Anpinkeln und Verpissen – für Meinungsäußerung im Schutz der Anonymität.

Natürlich haben viele Investoren ethisch einwandfreie Ziele. Und natürlich haben viele Weblogs einen ernsthaften Ansatz. So haben mich die meisten Eurer Beiträge sehr inspiriert und mir die virale Kraft dieser Medienform bewusst gemacht. Vergesst aber nicht, dass auch die Kommentare den Content eines Weblogs bestimmen. Und vor allem dort habe ich einiges gefunden, was meinem Vorurteil neuen Schub gab: Leute, das war teilweise unterste Klowand!

Aber wie sagte noch mal meine Mutter: Wer austeilt, muss auch einstecken können.

Euer Jean-Remy von Matt

Schon die Einleitung mit „Liebe Blogger” könnte als nicht ernst gemeint wirken – oder aber anbiedernd. Deutlicher sind aber die ersten beiden Sätze. Wer sich entschuldigen möchte, geht, jedenfalls wenn er es ernsthaft meint, nicht sofort zum Angriff über über und wirft den Bloggern vor, daß wer austeilt auch einstecken müsste. Was dann folgt, ist ein halbherziger Versuch (wenn es denn überhaupt einer ist), eine Art Entschuldigung vorzubringen. Diese geht dann wieder nahtlos in den Gegenangriff über. Herr von Matt irrt, wenn er meint, seine Meinungsäußerung in einer (seiner) Firma sei seine Privatsache. Es würde mich schon wundern, wenn am Eingang zur Firma ein Schild stehen würde mit der Aufschrift „Sie verlassen den Geltungsbereich des Grundgesetzes”.

Der Mitarbeit, der dafür Sorge getragen hat, daß seine angeblich private Mail ans Licht der Öffentlichkeit geraten ist, ist kein Denunziant. Sondern jemand, der über ein Gewissen verfügt. An dieser Stelle möchte ich jetzt keine unangebrachten Vergleiche bringen, aber jeder kann sich selber gut vorstellen, wie wichtig für eine Gesellschaft so eine Verhaltensweise ist. Über den Begriff „Privat” lässt sich auch trefflich streiten Herr von Matt. Mit meinem bescheidenen juristischen Sachverstand wage ich jetzt mal die Behauptung, daß die Mail, wenn sie so an ihre Familie gegangen wäre, tatsächlich privat gewesen wäre. Als Rundmail in einer Firma ist sie allenfalls vertraulich.

Wer jedoch eine vertrauliche Information als Rundmail verschickt, zeigt nur, daß er ein sehr, sagen wir mal robustes, Verständnis von elektronischer Post hat. Ein Beweis für Medienkompetenz ist das jedoch nicht. Herr von Matt, ein „kommunikativen Hausfriedensbruch” ist die Veröffentlichung ihrer (oder sollte ich schreiben deiner, wegen der Grußformel am Ende?) eMail jedoch nicht. In der Antike gab es eine Trennung zwischen dem Raum der Polis und dem Bereich des Haushaltes und der Familie. Letzterer war „privat”. Alles andere öffentlich.

Der Vergleich von Klowand-Debatte mit Heuschrecken-Debatte hinkt nicht, denn dazu fehlen ihm die Beine. Als Kunde einer Werbeagentur, die solche Vergleiche bringt, würde ich mich spätestens jetzt fragen, ob ich meine Auftrag nicht an eine andere Agentur vergeben sollte. Äpfel lassen sich zwar mit Birnen vergleichen, aber einen internationalen Finanzinvestor mit einer Tagebuch schreibenden Hausfrau zu vergleichen, ist doch etwas weit hergeholt. Vermutlich wird aus diesem Vergleich dann im digitalen Rauschen die Aussage, daß Blogger wie Heuschrecken über Informationshäppchen herfallen und von einem Nachrichtenschauplatz zum nächsten wandern. Oder war das sogar die Botschaft, die vermittelt werden sollte?

Wie schon anfangs gesagt, für mich ist der Brief keine Entschuldigung, sondern ein trojanisches Pferd. Jeden Moment könnten bis an die Zähne bewaffnete Werbetexter heruasstürmen und ein Blutbad in Kleinbloggersdorf anrichten.

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